Montag, 28. Dezember 2015

Ende der Winterzeit



Neulich auf einer Adventsfeier mit stimmungsvoller Musik kam ich auf den naheliegenden Gedanken, zum Schlusstitel mit dem Kunststück „Wintertime in China“ meinen Auftritt zu beenden. Und wirklich gelang es in dieser Kombination, das Publikum in den romantischen, schwerelosen Flair mitzunehmen: Riesenapplaus und verträumte Mienen, als die Flocken wirbelten!

Der Pferdefuß traf mich einige Zeit später, als mir der Veranstalter ein Reengagement in just dem gleichen Lokal mit den Worten anbot: „Ich muss Sie aber vorwarnen – vielleicht werden Sie vom Wirt schwach angeredet. Die haben sich beim letzten Mal enorm über die weißen Konfetti geärgert, die Sie verstreut haben.“

Nun muss man wissen, dass ich keineswegs in einem Fünf-Sterne-Restaurant gezaubert hatte, sondern in einem Etablissement, welches der Bayer liebevoll als „Dorf-Boaz’n“ bezeichnet: Ein Wirtshaus einfacher Art, in dem einen nicht nur Maggidünste und altes Frittierfett, sondern auch der Renovierungsbedarf ohne langes Suchen anspringen. Der Boden: sauber gekachelt, ohne Perserteppiche. Ich nehme an, der Schaden hätte sich vermittelst eines starken Staubsaugers, welchen ich in einem solchen Unternehmen eigentlich voraussetze, binnen weniger Minuten beheben lassen.

Zudem hatte ich, fragen Sie mich nicht wieso, Kehrichtschaufel und Besen mitgenommen, um selber zur Reinigung zu schreiten. Aber wie das so ist: Nach der Vorstellung herrschten Friede, Freude sowie Eierkuchen, niemand sprach mich darauf an, und meine Musikerinnen hatten es eilig, zum nächsten Konzert zu kommen – in der Eile verzichtete ich aufs Schneeräumen.

Ich habe „Wintertime“ bislang zirka hundertfünfzig Mal vorgeführt, und nur in einem einzigen Fall, welcher mir allerdings unvergesslich bleibt, hatte man mich auf dieses Problem angesprochen: Vor Jahren zauberte ich in der Vorweihnachtszeit auf einem Kindergeburtstag und zog mir aus schwer rekonstruierbaren Gründen den Unwillen des Töchterleins zu, welches sieben Jahre wurde. Vielleicht hätte ich ihre ständigen neunmalklugen Sprüche zum tricktechnischen Hintergrund nicht ignorieren oder sie öfter „drannehmen“ sollen, was weiß ich! Jedenfalls war Madame mit meiner Darbietung, welche ich mit „Wintertime“ beendete, gänzlich unzufrieden und schloss sich nicht ihren Freundinnen an, welche sich wie üblich begeistert mit dem „Schnee“ bewarfen. Zudem stand der Herr Vater voll unter ihrem Pantoffel (und vermutlich auch dem von Mutti), was sie wohl ermutigte, sich mir mehrmals in den Weg zu stellen und mir anzudrohen, ich käme hier erst raus, wenn ich „den ganzen Dreck“ beseitigt hätte.

Ich erklärte der Bonsai-Schnepfe schließlich, dass es am Theater Schauspieler und Bühnenarbeiter gebe, und überließ ihr die konkrete persönliche Zuordnung. Ich jedenfalls sei ein Schauspieler… Unter den stechenden Blicken von Vater und Tochter verließ ich damals ziemlich rasch den ungastlichen Ort.

Was die junge Dame dennoch positiv von den Gaststättenbetreibern unterschied: Sie hatte mich wenigstens zur Reinigung aufgefordert! Stattdessen ließen Letztere ihren Unwillen hinterher beim Veranstalter aus. Da ich solche Dinge nicht gerne im Raum stehen lasse, telefonierten wir umgehend mit den Wirtsleuten und konnten die Wogen glätten. Unsere Frage, wie es sich eigentlich bei einem Faschingsball verhielte, wurde jedenfalls eindeutig beantwortet: Auch in dem Fall seien Konfetti verboten. Da kommt doch Stimmung auf…

Das eigentliche Elend besteht in der Einstellung eines beträchtlichen Teils der deutschen Gastronomie: Der Satz vom Gast, welcher König sei, ist offenbar reine Nostalgie. Man verkauft Essen und Getränke sowie eventuell Hotelzimmer, am Wohlbefinden der Besucher allerdings ist man kaum interessiert. Manchmal habe ich den Eindruck, am liebsten wäre es den Wirten, der Kunde würde Mahlzeiten bestellen und bezahlen, jedoch auf deren Einnahme verzichten – ginge dann noch müheloser! Der eingeladene Künstler gar gilt für viele als „Störfaktor“, für den man nun auch noch nach einer Steckdose suchen oder einen Garderobenraum bereitstellen soll (und wenn es die Kegelbahn ist). Die Chance, dass Gäste, die sich gut unterhalten fühlen, länger bleiben, mehr bestellen oder eventuell wiederkommen, wird ignoriert. Wahrlich, wenn ich wieder einmal einen Gastronomen über sinkende Umsätze klagen höre, schwebt der in höchster gesundheitlicher Gefahr…

Bin ich denn völlig aus der Zeit gefallen mit meiner Erwartung, der Gastgeber müsse auf den Gast zukommen statt umgekehrt? Was oft schon normale Restaurantbesucher erleben, wenn sie eine Viertelstunde auf die Kellnerin warten, trifft das Schaustellergewerbe noch weit heftiger: Gewöhnlich wird man schon beim Eintreffen in die Rubrik „Feuerschlucker, Bauchtänzerin, Zauberer“ eingeordnet und fürderhin in höchst spiritueller Weise ignoriert. Und selbst wenn man in weiser Voraussicht auf einen Garderobenraum und sonstige Hilfestellungen verzichtet und eine „Auspacknummer“ bietet – eingekeilt zwischen einer depperten Anordnung der Tische und dem dampfenden Großraumbüfett – müssen im Zweifelsfall noch die Konfetti herhalten…

Nun gut – wir haben den neuerlichen Auftritt am gastlichen Ort unbehelligt vom Wirt hingekriegt und natürlich keinerlei Effekte mit Konfetti, Flüssigkeiten oder Bodennebel gezeigt. Als eine meiner Musikerinnen in der Pause von der Damentoilette zurückkam, berichtete sie mir: „Auf dem Klo schwimmt’s – ich bin gerade auf Zehenspitzen durch die Bescherung getappt“. Meine reflexartige Vermutung: „Ja, hat denn da ein Kollege die Ganga gezeigt?“

P.S. Schleichwerbung: Wer die Geschichte nicht ganz verstanden hat, weil er „Wintertime in China“ nicht kennt – in meinem Zauberbuch beschreibe ich diesen Klassiker detailliert auf den Seiten 88-94.

Donnerstag, 3. Dezember 2015

Zwei Tage im Advent



Seit Wochen schon stand das „magische Großkampfereignis“ an: zwei längere Auftritte beim Weihnachtsmarkt einer Weltfirma!

Ein Foto aus früheren Tagen zeigte zwar eine eher kleine, aber wenigstens überdachte Bühne – immerhin mit Beleuchtung plus Tonanlage inklusive Funkmikrofon. Garderobe? Die Vorbereitungen musste ich halt irgendwie im Auto oder hinter der Deckung meiner Zauberkiste hinkriegen. Und seit Tagen war schlechtes Wetter angesagt…

Eine Stunde vor dem ersten Auftritt würden wir erscheinen, so hatten wir avisiert, und dann eine Einweisung des Organisators benötigen. Pünktliche Ankunft bei leichtem Nieselregen und Schneetreiben. Der Markt wenig besucht, die Bühne vollgestellt mit allerlei Gerümpel, nassgeregnet und halb angefroren, von der versprochenen Technik nichts greifbar – und auf der Firmenseite niemand zu sehen. Eine Ankündigung unserer Vorstellungen? Die Budenbesitzer wussten von nichts.

Schließlich trieben wir zwei Azubis auf: Zauberei? Keine Ahnung! Ob sie wohl mal den Bühnenboden wischen sollten? Ach ja, gute Idee… Weitere Kontaktversuche mit dem Firmenvertreter landeten auf dessen Mailbox. Endlich richtete man uns aus: Er werde in 15 Minuten da sein.

Ich ließ unser Gepäck vorsichtshalber im Wagen, und nach weiteren 20 Minuten Einsamkeit verließen wir das imposante Gelände der Weltfirma – vorbei an einem großen Veranstaltungsforum, auf dem schon Weltstars aufgetreten waren. Na gut, gehören wir halt nicht dazu…

Später firmenseits Kontakte per Handy und Mail mit den üblichen „könnte, hätte, würde“-Wortschatz. Interessierte mich nicht mehr – und schon gar nicht das uns als Verpflegung zugedachte „exklusive Menü“. Ich möchte beim Zaubern an meine eigenen Grenzen gehen statt unter denen anderer zu leiden.

Am Sonntagnachmittag dann eine „Mugge“ mit meinen beiden Musikerinnen: zaubernde Moderation adventlicher Klänge bei einer Organisation mit Klientel eher im Seniorensegment: Dorfgasthaus, statt Garderobe ein Tisch im hintersten Bereich.

Anders als bei dem Großunternehmen tippte mir der Veranstalter schon dreißig Sekunden nach meinem Eintreffen auf die Schulter: Herzliche Begrüßung – ob denn alles in Ordnung sei? Die Gage übergab er mir gleich, natürlich gegen Unterschriften auf hochwichtigen Formularen.

Das Konzert nicht ganz stressfrei – der Platzmangel zwang mich zu etlichen Pirouetten zwischen Stühlen und Faltwand: Nur nichts vergessen, schließlich war es ein völlig neues, auf die Musikwünsche des Organisators zugeschnittenes Programm.

Nach einer Stunde herzlicher Applaus mit der dringenden Bitte um eine Zugabe: Meine Musikerinnen hatten mich mit größter Sicherheit durch das Programm getragen und einige Schnitzer von mir souverän verdeckt. Dann in Windeseile einpacken – die beiden Damen hatten am Abend noch ein Adventskonzert zu spielen. Dabei blieb mir die dankbare Rolle des Zuhörers.

Abends in der örtlichen Dorfkirche: Ein wunderschön aufgebautes „Bühnenbild“, der Ablauf ein perfektes Zusammenspiel von Kirchenchor, Instrumentalisten sowie dem Pfarrer als Vorleser stimmungsvoller, aber nicht kitschiger Weihnachtsgeschichten.

Schon der Einmarsch des Chors mit Kerzen in den Händen und zu einer getragenen Musik war so zauberhaft wie der Rest des fast anderthalbstündigen Programms. Alles hundertmal geübt und dennoch wie neu! Am Schluss standing ovations und Besucher, denen noch draußen vor der Kirche die Ergriffenheit anzumerken war.

Das Geheimnis: Die Mitwirkenden kennen einander schon seit vielen Jahren und arbeiten völlig selbstlos zusammen. Podeste für den Chor beispielsweise? Kein Problem, einer der Sänger ist Schreiner und macht sie halt „so nebenher“ selber!

Auf dem Weg zum Auto fiel mir ein Satz ein, mit dem der Vertreter der Weltfirma einen Tag zuvor sein Zuspätkommen gerechtfertigt hatte: Die „Arbeitszeitgesetze“ hätten ihm einen früheren Dienstantritt verboten.

Wie viele Welten doch zwischen zwei Tagen liegen können!

Samstag, 24. Oktober 2015

Der Star sind Sie!



Viele Magier beschäftigen sich fast ausschließlich mit den Effekten, die sie zeigen (wollen). Die Zuschauer sehen dies anders: Vor Jahren gab ich an Volkshochschulen und ähnlichen Einrichtungen Zauberkurse für Laien. Den Teilnehmern habe ich öfters die folgende Aufgabe gestellt:

Erinnern Sie sich an die letzte Zaubervorstellung, die Sie gesehen haben!
  1. Wie war der Name des Künstlers?
  2. Können Sie kurz den Ablauf eines seiner Kunststücke wiedergeben?
  3. Beschreiben Sie den Eindruck, den er auf Sie gemacht hat! 
Das übliche Ergebnis: An den Namen des Kollegen erinnerte man sich nur selten („irgendwas mit –ini“), ebenso erhielt ich kaum jemals eine halbwegs genaue Darstellung eines gezeigten Effekts (lediglich manchmal Aussagen wie „etwas mit Karten“, „ein Seiltrick“, „kleine Bällchen sind gewandert“, „er hatte eine Waschbär-Handpuppe“ etc.). Der persönliche Eindruck des Zauberers, der „Typ“ hingegen war den Angesprochenen noch recht präsent, also ob man ihn beispielsweise routiniert, freundlich, witzig, charmant oder aber distanziert, dilettantisch, albern bzw. langweilig fand.

Was ich Ihnen damit klarmachen will:
Das Publikum bewertet in erster Linie Sie und nicht die von Ihnen gezeigten Effekte!

Daher sollten Sie sich intensiv mit Ihrer „Bühnenrolle“ beschäftigen.

Merke: Männer möchten gerne Zauberer sein – so wie Frauen Prinzessinnen!

Zunächst sollten Sie sich entscheiden: Wollen Sie sich dem „Mainstream“ stellen? Vor einem Rockerclub beispielsweise kommt eine martialische Figur in Lederkluft, die sich aus Stahlketten befreit, bestimmt bestens an, und gewisse Kreise finden es sicher herrlich „schräg“, falls Sie sich als durchgeknallter Psychopath gleich einmal einen 5 Zoll-Nagel durch die Zunge treiben. Oma und Opa (und auch die meisten anderen Zuschauer) werden es bei der Feier ihrer Goldenen Hochzeit aber attraktiver finden, wenn Sie höflich und nett, also „normal“ daherkommen. Studieren Sie einmal den Typus von Moderatoren, die in den Medien hohe Einschaltquoten erzielen, dann wissen Sie, was man unter „Massengeschmack“ versteht!

„Ein Zauberkünstler ist ein Schauspieler, der einen Zauberer darstellt.“
(Jean Eugène Robert-Houdin)

Stellen Sie sich selbstkritisch die Frage: „Wer will ich bei einer Vorstellung sein?“ Innerhalb unseres Fachs haben Sie da eine große Auswahl: Vielleicht der smarte junge Mann, der gemütliche Märchenonkel, der Typ mit dämonischer Ausstrahlung, der mit ironisch-satirischen Texten punktende Kabarettist, der sympathische Irre? Die Möglichkeiten sind schier unendlich – wenn da nicht die zweite Frage wäre:

„Nimmt man mir diese Rolle ab?“  
Zu diesem Thema haben Sie hoffentlich einen verlässlichen Freundeskreis (gemeint sind nicht Ihre Zauberkollegen, welche Ihnen völlig unbrauchbare „Insideransichten“ liefern)! Diesen müssen Sie schonungslos befragen – und das Feedback des Publikums bei Auftritten registrieren (lassen).

Wenn Sie kein professioneller Mime sind, sollten Sie Ihre Bühnenrolle nicht allzu weit von Ihrer tatsächlichen Persönlichkeit ansiedeln. Aber beachten Sie den Unterschied zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung! Möglicherweise bemerken die Zuschauer bei Ihnen andere Eigenschaften als diejenigen, welche Sie sich selber zubilligen. (Persönlich sehe ich mich beispielsweise eher als zurückhaltend und sensibel, während Beobachtern meiner Auftritte vorwiegend Begriffe wie „überlegen“ und „selbstsicher“ einfallen.) Auf jeden Fall gilt stets die Außenansicht – und aus der müssen Sie Ihre Rolle entwickeln!

Eine Diskrepanz zwischen Innen- und Außenansicht zeigt sich an Rollenbrüchen, welche die Zuschauer irritieren und so den Eindruck Ihrer Show schwächen. Beispiele gibt es zuhauf:

·         Ein jugendlicher Zauberer, der sich zu Beziehungsproblemen äußert.
·         Ältere Kollegen, die sich tänzerisch mit „dynamischer Musik“ abmühen und deren Kostüm man anmerkt, dass es vor 20 Jahren einmal gepasst hat.
·         Illusionist, welcher mit „internationalem Flair“ beeindrucken will und englische Sätze falsch ausspricht.
·         grobmotorisches Bewegungsschema bei elegant wirken wollenden Manipulationen
·         „märchenhafte“ Show mit Requisitenmüll im Hintergrund
·         Dialoge mit Helfern aus dem Publikum, die kommunikativ wirken sollen, aber eher aus einer Abfolge eingelernter Witze bestehen

So, und auf der Basis einer überzeugenden Rolle wählen Sie dann Ihre Kunststücke - und zeigen nicht den "schwebenden Tisch", nur weil das derzeit viele tun!

Auf jeden Fall aber gilt:

„People pay for background“ – „Die Leute zahlen für Niveau“ (Harlan Tarbell)

Wenn Sie als Zauberer auftreten, sind Sie nicht der „Herr Müller von nebenan“, sondern ein Mensch mit ganz besonderen, herausragenden Fähigkeiten. Daher muss Ihr Auftreten stets eine Klasse besser (oder zumindest „anders“) sein als das der übrigen Gäste. Dies gilt für die Gepflegtheit Ihrer Erscheinung, Ihre Kleidung, Ihre Sprache, Ihre Bewegungsweise, das Aussehen der Requisiten und vor allem die Kommunikation mit dem Publikum.

Daraus erklärt sich die Problematik von Darbietungen vor nahe stehenden Menschen. Diese kennen Sie in Ihrer alltäglichen Rolle und nehmen Ihnen daher den Wechsel zum „Zauberer“ nur schwer ab. Ein Großteil der magischen Wirkung ergibt sich aber genau aus dieser persönlichen Ausstrahlung! Aus dem gleichen Grund vermeide ich es, mich vor meiner Darbietung schon im Publikum sehen zu lassen. („Kommen Sie doch eine Stunde früher, dann können Sie noch mit uns essen!“) Ich möchte die Schauspieler einer Theateraufführung auch nicht vor Beginn im Kostüm an der Bar stehen sehen – meine Illusion wäre dann beeinträchtigt.

„Magier“ ist ein Archetyp, der bei den meisten schon ab dem Kleinkindalter geprägt wird. Ich habe immer wieder festgestellt, dass dieses Bild durchaus noch bei Erwachsenen aktiv ist. „Alltägliche“ Schwierigkeiten wie die Suche nach einem Parkplatz, den Transport sperriger Utensilien über enge Treppen oder den Kampf mit Stromanschluss und Verlängerungskabel vermutet man bei Ihnen eher nicht. Auch volljährige Veranstalter sehen Sie irgendwie als einen, der auf dem Besen einfliegt, sich vor das Publikum stellt, die Requisiten aus der Luft greift und – einfach zaubert. Dass Sie jedoch für ein Dreiviertelstunden-Programm eine dreistellige Zahl von Einzelteilen ein- und auspacken, platzieren und eventuell noch präparieren, sich um Licht und Beschallung kümmern müssen, sollten Sie sehr diskret handhaben. Wenn die Zuschauer Sie vorher schon beim Zusammenschrauben irgendwelcher Geräte oder dem Kampf mit Musikanlage plus Mikrofon bewundern dürfen, nimmt man Ihnen hernach nicht mehr ab, dass Sie über den Naturgesetzen stehen!

Sie sind das Alphatier – nehmen Sie diese Rolle an!

Wegen Ihrer vermuteten Fähigkeiten steht diese Funktion sowieso für Sie bereit (falls Sie diese nicht schon im Vorfeld durch Ihr Verhalten ruiniert haben). Ab Beginn des Auftritts sind Sie mit Abstand die wichtigste Person im Raum – das müssen Sie aber voll akzeptieren und umsetzen! Leider sieht man das Gegenteil recht häufig: Kollegen, die sich vorab dafür entschuldigen, dass sie jetzt zaubern, wo es doch echte Zauberei gar nicht gäbe (am besten noch begleitet von diversen Übersprungs- und Verlegenheitsgesten, inklusive hängenden Schultern sowie gesenktem Kopf). Wundert es Sie dann, wenn Ihnen (vor allem bei Kindervorstellungen) die Inszenierung ganz schnell entgleitet, Sie sich der Zwischenrufe und anderer Störungen kaum noch erwehren können – und das bei mäßigem Beifall? Ergehen Sie sich am Anfang nicht in Reflexionen der Situation, sondern kommen Sie (wie jedes andere Alphatier auch) herein und ganz schnell zur Sache – nämlich zur Zauberei!

Haben Sie im Zirkus schon einmal Raubkatzen vor Beginn der Dressurdarbietung dabei beobachtet, wie begierig die sich vor dem Laufgitter drängen, weil sie endlich in die Manege wollen? Und Sie? Treibt es Sie unverzüglich und dringend auf die Bühne, um den Zuschauern endlich Ihre Fähigkeiten zu beweisen? Wirklich sofort und ohne Einschränkungen wie „vielleicht“, „einerseits“ und „eigentlich“? Sorry, aber wenn dieses „Rampensau-Gen“ in Ihrem Erbgut fehlt, wird es schwierig – lernen kann man das nur sehr begrenzt! Zum Trost bleibt Ihnen dann immer noch die Beschäftigung, welcher die Mehrzahl der Hobbymagier nachgeht: Zaubertricks sammeln und zu Hause am Schreibtisch ausprobieren.

Fazit: Das Maximum an persönlicher Ausstrahlung haben Sie erzielt, wenn Sie dem Publikum nicht mehr zeigen müssen, dass beispielsweise eine Kiste leer ist, sondern es reicht, wenn Sie dies glaubhaft versichern...

Donnerstag, 27. August 2015

Thomas Fröschle: Jungfrau gesucht, Säge vorhanden



Ich stehe auf gute Buchtitel – selten aber sind sie derart überzeugend, dass ich mir allein schon deshalb ein Werk bestelle. In diesem Fall war es so!

Den Autor habe ich beim ersten Zauberkongress kennengelernt, den ich je besuchte. Er war damals 15 Jahre alt und gewann den österreichischen Meistertitel. Bereits damals war ich mir sicher, dass es der junge Mann noch weit bringen würde. Mit seiner legendären Manipulationsnummer, bei welcher zum Schluss eine Unzahl Glocken erschien, gewann er zweimal die Zauberweltmeisterschaft und wurde bei diesem Rekord lediglich von Fred Kaps übertroffen.

In seinem höchst amüsanten Buch lüftet Thomas Fröschle (alias „Topas“) – wie es der Untertitel verspricht – den Vorhang und lässt uns viele Blicke auf diese seltsame Leidenschaft tun. In oft anekdotischer Form beschreibt er seinen Werdegang, in dem die örtlich nahe Zauberfirma „Magic Hands“ des unvergessenen Manfred Thumm eine zentrale Rolle spielte. Weiterhin war es sein Glück, frühzeitig zum benachbarten Ortszirkel Stuttgart stoßen zu können und in dem bekannten Talentförderer Eberhard Riese einen väterlich-strengen Freund zu finden. Dessen (von mir nicht unbedingt geteilte) Devise, Magie müsse vor allem neu sein, führte immerhin zu der bahnbrechenden Bühnennummer, mit welcher der junge Mann auch international Karriere machte.

Topas verfügt allerdings (und das wurde wohl viele Jahre übersehen) auch über eine immense schauspielerische und komödiantische Begabung, die er heute in seinen Auftritten als Comedian nutzt, Die Geschichten in seinem Buch bezeugen dies überdeutlich – und ich kann mich nicht erinnern, wann ich zum letzten Mal Tränen über solch skurrile Geschichten gelacht habe! Als (wenn auch amateurhafter) Insider kann ich nur bestätigen: Ja, genauso verrückt und egomanisch geht es in der Zunft der „Karnickelvermehrer“ zu – ob nun auf Zauberkongressen, wo außer „Lunatics“ und Spesen oft nicht viel anfällt oder im betulichen Altherrenclub des „Magischen Zirkels von Deutschland“, wo sich auch aus seiner Sicht eher die Tricksammler als die Entertainer tummeln. (Glücklicherweise wagt man dort einem ehemaligen Weltmeister nicht zu widersprechen…)

Besonders ehrt den Autor, dass er den selbstkritischen Blick nicht verloren hat – bei persönlichen Problemen wie „Platte und Plauze“ sowie dem "Erfolg" bei Frauen oder hinsichtlich zwerchfellerschütternder eigener Pannen, an der Spitze seinen ersten Auftritt in Las Vegas, wo er in drei Durchläufen stets wieder den Schlusseffekt versemmelte. Glücklicherweise ist das Video noch auf YouTube zu sehen und zeigt, auf welch hohem Niveau er dabei mit sich selber ins Gericht geht:

Erfolgreich kann in der Zauberkunst nur der sein, welcher eine blitzsaubere Technik mit umwerfender Ausstrahlung und Präsentation verbindet. Zu diesem Thema empfehle ich noch eine weitere Nummer, bei welcher sich Topas ein „magisches Duell“ mit seinem Partner Helge Thun liefert:

In den ernsteren Passagen am Ende des Buches übt Thomas Fröschle berechtigte Kritik an Esoterik und „Wundermännern“ wie Uri Geller und stellt seine Philosophie unserer Profession vor. Trivialisiert die heutige Generation von Zauberern etwas, das seinem Wesen nach viel tiefgründiger ist, wie der Magier Max Maven meint? Nicht jeder, der ein Trickgerät bedienen kann, sollte sich als Künstler fühlen!

Insgesamt also ein wunderbarer Blick hinter die Kulissen einer der „schönsten Nebensachen der Welt“ – für Laien zu Kennenlernen und für Insider zum Wiedererkennen. Und nebenbei: Allein der Kartentrick, welchen der Autor am Schluss beschreibt, ist den Preis des ganzen Buches wert!

P.S. Hier kann man bestellen: