Sonntag, 22. November 2020

Vom Gymnasium zur Irrealschule

 

Manchmal haben die Schüler nicht mal nach dem Abitur genug von einem. So fragten mich 2005 die Abiturienten, ob ich nicht auf ihrem Abschlussball zaubern könnte.

Ich schrieb damals ein spezielles Programm für diesen Anlass – und nachdem gerade das G 8 eingeführt worden war, machte mir das noch mehr Spaß als sonst. 

Den Text habe ich kürzlich wiedergefunden und möchte ihn hier veröffentlichen. Er zeigt besonders deutlich, dass ich stets versucht habe, bei meinen Auftritten Kabarett und Zauberei zu verbinden. Viel Vergnügen!

 

Hochverehrtes Publikum,

danke für die Blumen (in jeder Hand erscheint ein Blumenstrauß) und herzlich willkommen zu meinem kabarettistischen Zauberprogramm:

„Schulische Illsuionen – vom Gymnasium zur Irrealschule“,

speziell bearbeitet für die K 13 des Gymnasiums … unter dem Motto:

„Der Hopfen stirbt zuletzt!“ 

Bekanntlich wohnen ja mindestens zwei Seelen in meiner Brust: Lehrer und Zauberer – eine wahrhaft faustische Existenz! (noch zwei Blumensträuße erscheinen)

Habe nun ach, Biologie, Chemie und ein wenig Juristerei

durchaus studiert, mit heißem Bemühn.

Da steh ich nun, ich armer Tor,

und bin so klug als wie zuvor!

Heiße Magister – warum nicht Doktor gar,

und ziehe schon bald dreißig Jahr

herauf, herab und quer und krumm,

meine Schüler an der Nase herum –

und sehe, dass wir nichts wissen können.

(Ein Buch mit dem Titel „Magie“ wird leer gezeigt.)

 

Zwar bin ich gescheiter als alle Laffen,

Direktoren, Minister Schneider und Pfaffen.

Dafür ist mir auch alle Freud entrissen,

bilde mir nicht ein, was Rechts zu wissen,

bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren,

die Schüler bessern und bekehren –

drum hab ich mich der Magie ergeben! 

Befürchten Sie nun nicht, dass ich den ganzen Faust zitiere, aber ich wollte Ihnen einmal die Goethesche Metamorphose zeigen: von  der Seite zur Seide, vom Text zur Textilie – oder, etwas einfacher fürs G 8 – vom Buch zum Tuch!

(Seidenstreamer erscheint aus Buch.)

Doch womit beschäftigt sich ein Lehrer den lieben langen Tag? Doch zumeist mit leeren Inhalten! (Große Kiste wird leer gezeigt, aus ihr erscheinen dann die Requisiten wie Pyroschnur, lange Bahnen Druckerpapier, große Tücher und Würfel.)

Ein Magier dagegen lebt von Erscheinungen! Doch was erscheint schon an der Schule aus diesem Konglomerat aus langer Leitung, Geistesblitzen (Pyroschnur), Milch der frommen Denkungsart (Milkpitcher) sowie den Sporen des Amtsschimmels (Locher mit Konfetti)? Schließlich leben wir in einer Zeit, in der man die schönsten Zeugnisse von besonders netten Computern erhält – und nicht alles, was gedruckt wird, muss flach sein, aber es erleichtert den Druckvorgang erheblich.

(Beginn Papierstreamer-Produktion)) 

O sähst du, voller Mondenschein,

zum letzten Mal auf meine Pein,

den ich so manche Mitternacht

mit Korrekturen zugebracht!

Dann, über Büchern und Papier,

trübsel’ger Geist, erscheinst du mir! 

Doch besteht unser Leben wirklich nur aus Tatsachen, nicht auch aus Träumen, Idealen, Illusionen? Lassen Sie sich heute Abend nichts vorzaubern, sondern verzaubern, nichts vorführen, sondern entführen! Fragen Sie nicht nach dem Woher und Wohin, sondern lassen Sie den gnädigen Schleier des Geheimnisses über dem Rätselvollen!

(Beginn Tücherproduktion)

Etwas erscheint aus dem Nichts und bliebe doch ein Nichts, wäre da nicht das Geheimnis, welches verborgen bleibt… Doch wäre Magie nur die Kunst der Täuschung, so wäre jeder Bildungspolitiker ein Magier. Was ihm fehlt, ist, die Täuschung so amüsant zu gestalten, dass sie nicht zur Enttäuschung wird, Bezauberung zurückbleibt und kein fauler Zauber. 

Die Sehnsucht des Menschen nach dem Schein, welcher trügt, ist uralt – dieses Kunststück beispielsweise stammt aus der Jungsteinzeit, nur benutzte man damals statt Seidentüchern Mammutfelle. Von der Freude am schönen Schein profitierten die Tempelpriester aller Kulturen, die Gaukler des Mittelalters, die Fakire Indiens und die deutschen Ärzte: Der Glaube allein entscheidet – niemals die Mittel, sondern immer nur die Wirkung. Nur den Stoff, aus dem die Träume sind, den gibt es nicht auf Rezept!

(Stoffkaninchen, Beginn Würfelproduktion) 

So ist die Zauberei mehr als ein Überbleibsel aus versunkenen Zeiten, ein alter Hut, aus dem gewohnheitsmäßig noch die Karnickel steigen. Sie werden Bauklötze staunen! Die Würfel für die Magie sind noch nicht gefallen, sollten Sie Gefallen an diesen Würfeln finden! Würfel und Magie sind vielseitig und eine letzte Zuflucht des Unfasslichen in einer Welt, die von vermeintlicher Berechenbarkeit regiert wird. Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis – das Unerklärliche, hier wird’s Ereignis – und das, meine Damen und Herren, ist doch des Pudels Kern!

(weißes Tuch erscheint)

Ein pudelnacktes Bildnis!

Doch auf unsern deutschen Bühnen

probiert ein jeder, was er mag,

drum schonet mir an diesem Tag

Prospekte nicht und nicht Maschinen!

 

Aber was muss ich sehen?

Kann das natürlich geschehen?

Ist es Schatten? Ist’s Wirklichkeit?

Wie wird mein Pudel lang und breit!

Er hebt sich mit Gewalt,

das ist nicht eines Hundes Gestalt!

(Verwandlung des weißen Tuches in eines mit Kaninchenbild – Spiegelröhre)

 

Schluss mit Goethe!

Nicht Wünschelrute, nicht Alraune –

Die Zauberei liegt in der guten Laune! 

(Zauberstab wird zu Spazierstock – ArCane) 

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen… nein:

Liebe Kollegiatinnen und Kollegiaten – ich verwechsle das immer öfter, dabei ist es ganz einfach: Kollegiaten sind die ohne Rucksack. 

Sie haben sich in Ihrer Abiturzeitung ein IKEA-Motto zurechtgedübelt: „Wohnst du noch oder lebst du schon?“ Was die cleveren Kiefernbrett-Dealer wirklich meinen, ist natürlich: „Wohnst du noch bei deinen Eltern oder lebst du schon selbstständig?“ Diesen Unterschied zwischen Theorie und Praxis bezeichnet man als „Geld“.

So ist es auch in der Bildungspolitik: Vor der Wahl war noch Geld da – nach der Wahl reicht es gerade noch für ein Gymnasium Marke „Billy“, wie bei IKEA: Von der Koryphäe zur Konifere – das ist der Imbusschlüssel der Bildung: G 8, also zweimal Hartz 4!

(Paper to Money rückwärts)

Das erinnert mich daran, wie ich zum Zaubern kam…

(Geldscheinvermehrung: Six Bill Repeat)

Es ist das schöne Vorrecht von uns älteren Menschen, die Musik der jungen Generation grauenhaft zu finden – zumal, wenn sie es wirklich ist…

(Schallplattenfärbung nach Eckhard Böttcher) 

Die meisten Zauberer haben ja einen Künstlernamen – unser Gymnasium hat noch gar keinen. Wie soll man sich einen Namen machen, wenn man keinen hat? Derzeit sucht unsere SMV händeringend nach Vorschlägen. Ich hatte ja schon einige präsentiert, zum Beispiel „Gymnasium rechts der Autobahn“ oder „Bonsai-Gymnasium …“. Heute eine Idee, welche einer Zweidrittelmehrheit würdig ist: Benennen wir die Schule doch nach unserem Landrat: „Rudi Engelhard-Gymnasium“! Im Schülerjargon wird daraus vielleicht der  Spitzname: „Rudis Reste-Rampe“… 

Sie sehen, Zauberer sind völlig verrückt…

(Alexander de Covas Seilroutine „Ropemare“) 

Ich möchte Ihnen noch schnell 51 Prozent meines Programms vorstellen: meine Assistentin Karin! 

Meinen ganz herzlichen Dank den Abiturienten für ihren Wunsch, sich meine Sprüche auch noch nach der Schule anzuhören! Es hat mir einen Riesen-Spaß bereitet, mich hier um Kopf und Kragen reden zu dürfen.

(Ringspiel / Rosenproduktion mit „Mignon“, jeweils mit Musikbegleitung)

Zum Abschluss: Bekanntlich sind Karin und ich ja auch dem Tanzen verfallen, speziell dem Tango argentino. Und wenn wir schon in einem Etablissement zaubern, das sich „Rennbahn“ nennt, muss es unbedingt ein bestimmtes Tangostück sein: Es stammt vom berühmten Sänger Carlos Gardel und nennt sich „Por una Cabeza“. Um eine Kopfeslänge verliert das Rennpferd, auf das ein Mann alles gesetzt hat: Pech im Spiel und auch in der Liebe.

Was ich Ihnen wünsche: Dass Sie stets darauf setzen, was Ihnen wirklich am Herzen liegt, auch wenn Sie dabei einmal verlieren sollten – um eine Nasenlänge: Por una Cabeza!

(Karin und ich tanzen zu dem Tangostück)

 

Schlussbemerkungen:

Zauberkollegen werden die Kunststücke kennen, die ich kurz angedeutet habe – und ja: Es sind ungewöhnlich viele Produktionseffekte. Aber wir arbeiteten in einem riesigen Saal mit großer Tanzfläche und dem üblichen Trubel bei Bällen von jungen Leuten. Daher entschlossen wir uns, optische Effekte in den Vordergrund zu stellen.

Zudem gilt bei mir stets: Der Text ist mindestens so wichtig wie die magischen Touren. In diesem Fall transportieren sie die kabarettistischen Pointen meines Vortrags, der halt hier auf Schule und Bildungspolitik zugeschnitten war.

Die Bilder illustrieren also eher den Text als umgekehrt. Ich finde, über dieses Konzept lohnt es sich nachzudenken!


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