Montag, 4. Dezember 2023

Zeit lassen!

 

Neulich hatte ich ein sehr interessantes Gespräch mit einer Zuschauerin, die schon viele Zauberauftritte von mir erlebt hat.

Früher, so erzählte ich ihr, war ich immer wieder mit der Ausarbeitung neuer Routinen beschäftigt, die ich dann – falls sie mir geeignet erschienen – irgendwo in der Mitte des Programms ausprobierte. Viele davon zeigte ich nur wenige Male, einige aber fanden ihren Platz in meinem Standard-Repertoire (zu meiner besten Zeit weit über hundert Nummern).

Heute, so meinte ich, sei eher das Gegenteil der Fall: Da ich inzwischen weniger Vorstellungen gebe (von den Musik-Moderationen einmal abgesehen), kämpfte ich darum, die Abfolgen und Texte von Kunststücken nicht zu vergessen, die ich vor zwanzig und mehr Jahren im Schlaf beherrschte. Gerade, wenn ich solo zaubere, verfolgt mich ständig die Sorge, ich könnte plötzlich „aus dem Text fliegen“ oder bei der Abfolge in die Irre geraten. Von vielen Routinen habe ich keine komplette Beschreibung – das meiste ist lediglich in meinem Gedächtnis gespeichert.

Na gut, von einigen Dutzend Effekten gibt es inzwischen YouTube-Videos, die ich mir zur Vorbereitung nochmal anschauen kann:

https://www.youtube.com/channel/UCNQxzjgEVdis00XYsrU0sWg

Zur Zuschauerin sagte ich: „Manchmal wird das ganz schön aufregend, weil ich beim Reden nachdenken muss, wie es weitergeht“. Zu meinem Erstaunen war ihre Antwort: „Gerade das finde ich inzwischen überzeugender. Früher warst du öfters zu schnell“.

Da ist sicher etwas dran: Es gab Jahre, wo ich über fünfzig Auftritte absolvierte – häufig verwendete Routinen zeigte ich jährlich über dreißig Mal. Manche davon hingen mir nach der langen Zeit regelrecht „zum Hals raus“. Also versuchte ich, sie so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. Auch von Karin, die mir meist assistierte, hörte ich gelegentlich: „Lass dir mehr Zeit“.

So entstehen manchmal aus der Not heraus Verbesserungen!

Ich glaube, die Langsamkeit hat mehrere Vorteile:

Der Vortrag zu einer Zaubernummer sollte ja so klingen, als fielen einem die Worte ganz spontan ein. Diese Wirkung verschenkt man, wenn man den Text perfekt herunterschnurrt. Er ist dann nicht nur auswendig gelernt – er klingt auch so.

Zudem prasselt auf die Zuschauer eine ganze Menge von Informationen und Eindrücken herein. Man muss ihnen Zeit lassen, das Gesehene und Gehörte zu verarbeiten. Pausen sind dazu besonders wichtig – und bilden eine Gelegenheit, zwischendurch mal zu lachen oder zu applaudieren.

Hetzt man durch eine Nummer, so setzt man nicht nur das Publikum unter Druck, sondern auch sich selber. Man wirkt angespannt. Lässt man sich jedoch Zeit, strahlt man Lässigkeit und Souveränität aus und bringt Ruhe in den Ablauf. Wenn einen keiner jagt, sollte man auch nicht rennen!

Ich glaube, es spielt ebenso die chronische Angst des Magiers vor der Offenlegung der Geheimnisse eine Rolle. Damit die Zuseher nicht merken, wie es geht, arbeitet man sich mit einem Höllentempo durch die Routinen.

Mir hat dabei im Lauf der Jahre ein Gedanke geholfen: Kein Zauberkünstler, der noch alle Tassen im Schrank hat, macht dem Publikum heute noch weis, er sei mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattet. Klar sollte die Vorführung handwerklich so gut sein, dass man die Leute nicht mit der Nase auf die Erklärung stößt. Aber in unserer Zeit ist die Zauberei lediglich ein amüsantes Spiel. Ich vermittle Fantasien, Geschichten und Ideen, die ich magisch illustriere. Mehr nicht!

Sicherlich gibt es Momente, in denen man Tempo und auch Lautstärke erhöhen muss – aber als bewussten Akzent, nicht als Dauerlösung! Und solche Modulationen wirken stärker, wenn man sie nur gezielt einsetzt.

Hier ergibt sich eine Parallele zu meiner anderen Leidenschaft, dem Tanzen: Auch dabei (und vor allem beim Tango) darf man sich nicht im monotonen Stakkato durch ein Musikstück arbeiten. Verzögerungen und Pausen sind oft viel wichtiger. Und man wirkt umso schneller, je langsamer man vorher war – und umgekehrt.

Vielleicht ist es ja ein Vorzug des Alters, dass man mehr Zeit zum Luftholen und Nachdenken braucht – und so den Zauber der Langsamkeit entdeckt!


 

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