Donnerstag, 21. Mai 2015

Was Neues?



„Ein Anfänger fragt seinen Zauberhändler, ob er etwas Neues hat.
Ein Fortgeschrittener möchte wissen, ob er ihm etwas Altes verkauft.“

Woher ich dieses Zitat habe, weiß ich nicht mehr. Für mich lenkt es aber das magische Denken an einen entscheidenden Punkt:

Während noch vor einigen Jahrzehnten die Zauberei eher eine „Geheimwissenschaft“ darstellte, welche nur einem eingeweihten Kreis zugänglich war, kann man heute per Internet vom einfachen Kartentrick bis zur großen Bühnenillusion alles in Minutenschnelle ansehen und bestellen.  Eher reißerische Werbetexte vermitteln den Eindruck, das so erworbene Equipment würde dann schon die „Zauberarbeit“ für einen erledigen. In den Katalogen wird der Effekt stets nur aus der – zudem oft recht optimistisch interpretierten – Zuschauersicht geschildert.

Für relativ viel Geld (mit dem Großteil bezahlt man das Geheimnis) erhält man anschließend die Hardware inklusive einer häufig ziemlich frugalen Beschreibung, nicht selten einer knappen Übersetzung aus dem Englischen (oder Japanischen). Auch wenn die Gerätschaften so halbwegs funktionieren, erkennt gerade ein Anfänger bald, dass er über die dazu nötige Geschicklichkeit nicht verfügt. Spätestens nach ein paar nicht sehr erfolgreichen Vorführversuchen landet das gute Stück dann im Zauberschrank.

Sicherlich gehören Fehlkäufe zu den Erfahrungen, die einem Neuling in der Zauberkunst nicht erspart bleiben. Mit der Zeit lernt man vieles genauer kennen und die „Katalogsprache“ von der Realität zu unterscheiden. Ein Trost: Oft fiel es mir erst Jahre später ein, wie ich ein bestimmtes Requisit so verwenden konnte (meist weit von der ursprünglichen Beschreibung entfernt), dass sich eine problemlose Vorführung und ein wirksamer Effekt ergab.

Nicht nur Zauberhändler, sondern auch Seminaristen auf den magischen Kongressen profitieren von dem Schlagwort „neu“ – welches ja stets die Bedeutung „besser“ nahelegen soll. Der bekannte Kollege Alexander de Cova beleuchtet derartige Verkaufsveranstaltungen in geradezu satirischer Weise: „Die meisten Seminare, vor allem die von amerikanischen Kollegen, haben in den letzten Jahren immer mehr den Charakter von Hausverkaufsparties angenommen. Den Gipfel dieser Praxis habe ich in einem Seminar erlebt, in dem der Kollege vor der Pause eine säuberlich gedruckte Liste mit seinen Verkaufsartikeln austeilte und im Detail erläuterte, was er nach dem Seminar alles zum Verkauf anbiete würde. Eigentlich hat nur noch gefehlt, dass man ankreuzen soll, was man will, damit in der zweiten Hälfte des Seminars von den fleißigen Helfern schon zusammengepackt werden kann, und sich dann jeder nur noch sein Tütchen gegen Bares abholen muss.“ (aus „Secrets N° 2“)

Bei meinen Kontakten in der magischen Zunft habe ich das Resultat eines solchen Marketings oft genug erlebt: Hauptsache, man „kauft“ sich einen Effekt, und „neu“ muss er selbstredend sein – sonst ist er uninteressant. Auch der deutsche Star-Regisseur und „Jury-Papst“ Eberhard Riese bläst in dieses Horn: „Damit eine Zauberdarbietung Chancen auf Erfolg hat“, müssen für ihn etliche Kriterien erfüllt sein – an erster Stelle: „Sie muss neu sein; das heißt neu sein entweder in den Effekten oder in den Techniken oder in der Präsentation – am besten in allen drei Punkten.“ (aus „Fundamente“)

Alexander de Cova ist da anderer Meinung: „Ist es wirklich ein Kriterium, zu sagen, ein Trick oder eine Routine seien schlecht, allein weil sie nicht neu ist? (…) Heute wie vor vierzig Jahren lassen wir Karten aus dem Spiel verschwinden, um sie an einem anderen Ort wieder erscheinen zu lassen, bringen wir Asse zusammen, oder finden gedachte oder frei gewählte Karten in einem ganz normalen, gemischten Spiel wieder. Neu daran ist vielleicht, dass man heute einen Waschbären braucht, um eine Karte zu finden oder eine endlos lange, alles motivierende Routine, die den Effekt unkenntlich macht und die Spannung eines Testbildes im Fernseher vermittelt.“ (aus „Secrets N° 1“)

Ich glaube, wir sollten uns lieber bei Klassikern, die sich seit Jahrhunderten oder länger bewährt haben, einmal gründlich überlegen, warum das so ist – und den Optimismus behalten, dass sie auch in Zukunft dem Publikum gefallen werden, wenn man sie überzeugend vorführt. Natürlich muss man sich um eine zeitgemäße Präsentation bemühen (ohne die Goldfransen am Zaubertisch oder die Witze aus alten Vortragsbüchern) – aber ich weigere mich entschieden, „neu“ als Bedingung für Erfolg zu betrachten. In der jahrtausendealten Geschichte der magischen Kunst wurde schon viel probiert - nur Weniges hat überlebt. Um genau diese Schätze sollten wir uns kümmern, anstatt krampfhaft das Rad neu erfinden zu wollen. Und keine Angst davor, dass die Zuschauer „das alles schon kennen“! Wie viele Zauberauftritte erlebt der durchschnittliche Laie in seinem Leben? Ich vermute da eher eine einstellige Zahl – und nach meiner Erfahrung kann er meist keinen einzigen der gesehenen Effekte genauer wiedergeben!

Das zentrale Beispiel aus meiner eigenen Zauberlaufbahn stellt das Chinesische Ringspiel dar. Eher zufällig erwarb ich vor langer Zeit einen Satz Ringe und die Routine „Symphony oft he Rings“ von Dai Vernon. Die Beschreibung war, gerade für einen Anfänger, richtig harter Stoff und beschäftigte mich monatelang. Aber irgendwann hatte ich mich „durchgebissen“ und den Ablauf erlernt. Schon bei den ersten Vorführversuchen erlebte ich eine große Resonanz beim Publikum (welche sicher auf den Effekt und nicht meine Darbietungsweise zurückzuführen war). Ich wurde allerdings auch mit dem Rat eines erfahrenen Zauberkollegen konfrontiert, ich solle doch auf die „ausgeleierten Ringe“, die jeder vorführe, verzichten und mir stattdessen etwas Eigenständiges und Originelleres einfallen lassen. Zum Glück folgte ich damals diesem Rat nicht – und wenn es ein einzelnes Kunststück gibt, dem ich meinen Erfolg und viele Reengagements verdanke, dann ist es sicherlich das Ringspiel. Zirka 700 Mal habe ich es bislang gezeigt, und so hat sich die lange Übungsphase wahrlich amortisiert!

Ich könnte noch eine Menge solcher Beispiele aufführen: Becherspiel, Kubusspiel, Tuch-Färbung-Ei oder die Punx-Effekte „Herz aus Glas“ oder das „Märchen von den vier Wünschen“. Wenn man sein Geld lieber in einen bewährten Effekt oder in eine Reihe guter Zauberbücher investiert, hat man Material ohne Ende, mit dem man sich lange beschäftigen kann und muss! Magisches „Fastfood“ hingegen macht auf die Dauer weder satt noch glücklich. Viel später habe ich ein Zitat von Dai Vernon gefunden, das uns zeigt, wie wenig in der Magie mit „schnellen, Hauptsache neuen“ Effekten geht: „Eine Straße weiter gibt es ein Musikgeschäft, wo Sie sich vielleicht eine Violine kaufen. Einige Häuser daneben finden Sie eventuell ein Zaubergeschäft, wo Sie diese Ringe erwerben können. Aber in beiden Fällen müssen Sie dann nach Hause gehen und lernen, wie man spielt.“

Nach meinem Empfinden sind viele Amateurzauberer ihr Leben lang auf der Suche nach dem „idealen Trick“, der gleichzeitig neu, undurchschaubar und mühelos vorzuführen ist. Dies aber ist eine Illusion, welche wir unserem Publikum vorbehalten sollten. Für uns selber ist sie kontraproduktiv und gefährlich. Geben wir uns lieber Mühe beim Üben als bei der ständigen Erkundung von „Neuem“!

„Es gibt ein Erbe in der Zauberkunst, um nicht sogar zu sagen, ein Vermächtnis. (…) Ich lese sehr viele Zauberbücher, und aus denen älteren Datums habe ich vor allem gelernt, dass es wirklich nichts Neues unter der Sonne gibt. (…) Geht es nur darum, immer etwas Neues zu kreieren, oder ist es nicht ratsamer, erst einmal Routinen einzustudieren und ihnen dann vielleicht ein neues Gesicht zu geben, indem man sie rationalisiert, wo es nötig erscheint, seinem individuellen Vorführstil anpasst, vielleicht einen Vortrag unserer Zeit angleicht oder sie unter Umständen sogar so vorführt, wie sie erdacht wurden, weil es einfach nichts zu verbessern gibt?“ (Alexander de Cova: „Secrets N° 1“)