Samstag, 15. August 2020

Kinderzauberei – der Weg zur Erlebniswelt der Kleinen


Meine Art zu zaubern hat sich maßgeblich verändert, seit ich zum ersten Mal die „Grand-Prix-Nummer“ des legendären Fred Kaps sah:


Insbesondere der Schluss dieser preisgekrönten Routine wird mir unvergesslich
bleiben: Der Magier greift – zum wiederholten Male – zu einem kleinen Streuer mit Zaubersalz, jedoch scheinen die Löcher verstopft zu sein. Er schraubt den Deckel ab und schüttet den Inhalt in seine Faust. Aus jener rinnt dann ein nicht enden wollender Salzstrahl, das ursprüngliche Gefäß läuft über.

Kaps ist augenscheinlich völlig überrascht von diesem Effekt, wird mit der Zeit immer verlegener, versucht, die Fülle in der anderen Hand aufzufangen und Salz in die Tasche zu stecken, malt mit dem weißen Rinnsal Figuren auf den Boden und gestikuliert entschuldigend in Richtung Publikum. Längst ist die Musik zu Ende, er deutet händeringend in Richtung Kapelle, welche daraufhin noch mehrfach zum Finale ansetzt, mit komischer Verzweiflung blickt er auf den Salzhaufen zu seinen Füßen – schließlich, zu den letzten Takten der Begleitung, ein Leerzeigen der Hände: Die Illusion ist vorbei, und er geht ab.

Das Umwerfende daran ist, wieder einmal, nicht der Effekt (Salzvermehrung),
sondern die Präsentation:


Nicht der Vorführende, sondern „es“ zaubert!

Der wird von den Ereignissen genauso „überrollt“ wie das Publikum – und dieses „spiegelt“ seine Verblüffung.

Mit jenem Konzept ersparen Sie sich vor allem bei jüngeren Zuschauern die lästigen Fragen, „wie es geht“ – Sie wissen es ja selber nicht, die Effekte passieren einfach, scheinbar ohne Ihr Wollen. Sie verlassen so die angreifbare Position des Alleskönners und -Wissers, welche junge Zuschauer sehr gerne austesten, indem Sie sich (in dieser Hinsicht!) auf die Stufe der Kinder stellen.

Mit einer solchen Strategie können Sie die meisten Aufsitzereffekte auch vor jungem Publikum zeigen: Nachdem Sie längere Zeit die Proteste aus dem Zuschauerraum nicht verstanden haben, kapieren Sie endlich die Lösung, wiederholen sie lauthals (für alle, die den Plot noch  nicht erfasst haben) und „untersuchen“ die Requisiten entsprechend.

Groß ist Ihr Erstaunen, dass es wohl doch nicht so einfach funktionieren kann. Aber wie dann? Keine Ahnung – es ist halt Zauberei! Zumindest teilen Sie den Frust mit Ihren kleinen Zuschauern, und die sind beruhigt, dass ein Erwachsener ebenfalls nicht durchblickt.

Beim berühmten „Würfelkasten“ beispielsweise leuchtet Ihnen endlich ein, dass der Kubus nur hin- und her rutscht. Toll! Sie wollen ihn wieder herausholen und die Sache noch einmal probieren – doch er ist verschwunden. Nach Suchen und Grübeln kommen die Kinder wahrscheinlich selber darauf, einmal im Hut nachzusehen. Da ist er Gott sei Dank wieder, und Sie bedanken sich für den Tipp!

Die Metaebene betrifft die Älteren, welche selbstredend Ihre Taktik durchschauen, die darin liegende Raffinesse bewundern – und genauso wenig wissen, wie es wirklich geht!

Ein Zauberprogramm für Kinder muss stets komische Momente enthalten: Glücklicherweise lacht man in jugendlichem Alter (noch) gerne – und zwar am liebsten über Erwachsene, denen auch einmal etwas misslingt. Wenn Sie beispielsweise mit dem Zauberstab leicht auf Ihre Faust klopfen, den Schlag aber zu stark dosieren und sich anschließend vor Schmerzen krümmen, wird die Begeisterung von Siebenjährigen kein Ende kennen! Insofern hat das scheinbare Misslingen von Kunststücken einen hohen Unterhaltungswert.

Nicht nur im Kasperltheater wirkt das schon angesprochene „One ahead-Prinzip“ bei Kindern grandios, da ja wiederum eine Situation eintritt, in der sie dem Erwachsenen auf der Bühne einen Schritt voraus sind (alle sehen das Krokodil, bloß der Kasper nicht). Ein schönes Beispiel bietet das Kunststück „Run Rabbit Run“ (oder auch „Häschenburg“), bei dem die Zuschauer längst bemerkt haben, dass der Hase von der einen zur anderen Seite gesaust ist – nur nicht der Vorführende.

Hierbei müssen Sie allerdings ein feines Gespür dafür entwickeln, welchen Grad an eigener Dämlichkeit Ihnen die Kinder noch abnehmen. Zudem nutzen sich sämtliche Strategien in einem Programm ab, daher ist auch dieses Manöver kein Allheilmittel für einen ansonsten spannungsarmen Auftritt!

Kleine Zuschauer sind fasziniert von skurrilen Geschichten mit möglichst
absonderlichen Requisiten: Ein Zauberstab, der in die Luft springt, von dem die Enden abfallen oder der sich in einen Kochlöffel oder gar eine Klobürste verwandelt, bereitet ihnen oft mehr Vergnügen als der magische Höhepunkt einer Routine. Überlegen Sie, mit welchen komischen Zwischenspielen Sie den Ablauf würzen können:

Der Weg ist das Ziel!

Merke: Aus der Sicht von Kindern beschäftigen sich Erwachsene mit
„ernsthaften“ Dingen – ein Zauberer dagegen „spielt“: Dies bildet das größte Faszinosum für die Kleinen!

Doch verwenden Sie auch solche Stilmittel nicht im Übermaß! Ein Erwachsener,
der zum fünften Mal rechts und links verwechselt oder dem schon wieder ein Seidentuch herunterfällt, wirkt bereits auf Kleinkinder unglaubwürdig. Zudem treten Sie als Zauberer auf, nicht als Clown (eine ganz eigene Kunstgattung, deren Erlernen sicher nicht einfacher ist als unsere Profession). Ersterer zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass ihm Dinge gelingen, zu denen normale Menschen nicht fähig sind, bei Letzterem ist eher das Gegenteil der Fall – ein Widerspruch, der prinzipiell nicht auflösbar ist.

Große Komiker wie Charly Chaplin oder Jaques Tati kamen oft sehr konventionell daher, nur misslingt ihnen dieses Streben nach Anpassung immer wieder grandios – und aus dem Kontrast entsteht das Vergnügen, welches sie uns bereiten: Der Darsteller ist eher ernst – lustig finden wir ihn! Oder stellen Sie sich Freddie Frinton in seinem legendären Sketch „Dinner for one“ einmal im Clownskostüm statt in der Butler-Livree vor! Übrigens haben große Clowns wie Charlie Rivel diese „ernsten“ Anteile stets berücksichtigt und waren weit mehr als „Possenreißer“!

Insofern habe ich bei Kollegen, welche in schreiend bunter Aufmachung mit Bommelnase plus komischem Hütchen vor Kindern auftreten und sich gerne als „Clown-Zauberer“ bezeichnen, meine Bedenken: Oft genug erlebt man ein (nicht immer besonders gekonntes) Herumgeblödel, das mit wenigen simplen Zaubereffekten versehen wird. Das mag ja bei Kleinkindern halbwegs funktionieren, doch wie steht es um die bereits angesprochene Metaebene? Ältere Kinder und Jugendliche lehnen eine solche Darbietung vielleicht eher als „Babykram“  oder gar „Quatsch“ ab, und bei Erwachsenen etabliert sich die Vorstellung, die Zauberkunst basiere vor allem auf klamottigen Gags und nicht auf feinsinnigen und undurchschaubaren Illusionen. Steigert man nach einem solchen Auftritt seine Chancen, für ein Erwachsenenprogramm gebucht zu werden?

Komik ist in unserem Metier ein Stilmittel, welches die Wirkung von
Täuschungen fördern kann – mehr aber auch nicht!

Wie bereits angedeutet, ordnen gerade Kleinkinder Gegenständen (noch dazu außergewöhnlichen wie beim Zaubern) die Rolle von Lebewesen zu. Bauen Sie an geeigneten Stellen unbedingt Animationen ein, indem Sie den Requisiten Namen oder andere persönliche Eigenschaften geben – vielleicht ist ein Seil ja in Wirklichkeit eine Schlange, eine hohe Säule ein Riese, ein Tuch ein Schmetterling usw.

Bedienen Sie die reichhaltig vorhandene Fantasie der jungen Zuschauer! Im Bemühen um ein „kindgerechtes“ Kunststück zauberte ich in meiner Anfängerzeit öfters ein Stoffkaninchen aus einer „leeren“ Kiste, welches ich dann „zappelnd“ in den Händen hielt. Immer wieder erhielt ich dabei von älteren Kindern den Zuruf „Ej Mann, der ist ja gar nicht echt!“ (was natürlich auch die Illusion bei den Kleineren killte), worauf ich den Effekt nur noch bei Senioren zeigte (wo er sehr gut ankam).

Inspiriert vom Film „Sein Freund Harvey“ mit James Stewart erfand ich später eine Routine mit dem zwei Meter großen, unsichtbaren Hasen gleichen Namens, dessen Aktionen ich mit diversen Zaubereffekten animierte. Das Ganze wirkte auf die Junioren bombig, und das Verrückteste ist: Noch nie hat ein Kind, gleich welchen Alters, die Existenz dieses Tiers bezweifelt – er war, im Gegensatz zum nachgemachten Fellknäuel, sozusagen „echt“!

Insgesamt bilden Auftritte vor Kindern immer eine Gratwanderung, bei der man das eine tun muss, ohne das andere zu lassen:

·         Verwenden Sie eine leicht verständliche Sprache, ohne in „Babygeplapper“ zu verfallen.
·         Zeigen Sie einfache, stark optische Effekte, die aber auch für Größere undurchschaubar sind.
·         Arbeiten Sie anschaulich und mit Animationen!
·         Verwenden Sie skurrile Zwischenspiele.
·         Setzen Sie Tempo und Pausen situationsgerecht ein.
·         Lernen Sie die Unruhe so zu steuern, dass sie produktiv bleibt.
·         Seien sie nett und freundlich, ohne die Inszenierung aus der Hand zu geben.
·         Schaffen Sie Möglichkeiten der Publikumsbeteiligung, die den Gesamtablauf nicht gefährden.
·         Leisten Sie sich scheinbare „Pannen“, aber behaupten Sie Ihre Alpharolle.
·         Arbeiten Sie mit Metaebenen für die verschiedenen Altersstufen.
·         Bleiben Sie für Ihre kleinen Gäste ansprechbar, aber nicht ständig und in jeder Situation.
·         Registrieren Sie Zwischenrufe, aber bestimmen Sie Ihre eigene Art der Reaktion darauf.
·         Setzen Sie Komik ein, ohne in niveauloses Gealbere zu verfallen.
·         Bestehen Sie auf geeigneten Rahmenbedingungen – auch auf die Gefahr hin, dass Ihnen einmal ein Engagement entgeht.

Und schließlich: Denken Sie darüber nach, ob Sie Kinder mögen – nur dann sollten Sie solche Vorstellungen geben!

Niemand hat behauptet, dass dies alles einfach sei. In seinem sehr empfehlenswerten Buch „Kinderzauberei – (k)eine Kunst?!“ schreibt Marc Dibowski:

„Für Kinder muss man zaubern wie für Erwachsene – nur besser.“