Dienstag, 30. Juni 2015

Von der Rückeroberung des Magischen



Ein Blog leitet sich ja vom „Weblog“ ab, ist also ursprünglich ein elektronisches Tagebuch. Dies will ich heute einmal wörtlich nehmen und von einem Zauberauftritt berichten, den wir neulich zu absolvieren hatten – oder, noch deutlicher gesagt: Viel schwieriger geht’s nicht:

Pfarrfest auf einer grünen Wiese, kein Podest, nicht einmal eine Abgrenzung des Vorführbereichs, Seiteneinsicht, hinter uns immerhin ein alter Baum mit einem angelehnten herrenlosen Fahrrad, Stromversorgung per Kabelrolle vom 15 Meter entfernten Getränkewagen aus, vor uns zirka 200 Gäste an Biertischen, ständiges Kommen und Gehen, Altersverteilung statistisch. Gottseidank hatte das Wetter sich im allerletzten Moment zu Sonnenschein entschlossen, wenn auch der Wind es hartnäckig ablehnte, den aufrechten Stand unseres Paravents zu akzeptieren. Ich liebe Open-Air-Gigs… 

Unserer Hartnäckigkeit verdankten wir es, dass dem Veranstalter gut 24 Stunden vor unserer Show doch noch klar wurde, wie sehr die magische Wirkung nicht zuletzt von ziemlich vielen Details des Umfeldes abhängt – so erhielten wir immerhin einen Garderobenraum, allerdings 50 Meter von der Spielfläche entfernt. Außer einer netten Ansage konnten wir keinerlei Werbung für unsere Vorstellung erkennen – na gut, es waren ja genügend Gäste erschienen (obgleich wohl nicht gerade wegen uns). Ein erwachsener Besucher fragte meine Frau immerhin, wann „das Ganze“ anfange, und es wäre ja sicher „was für die Kinder“. Ihre Antwort „nicht nur“ fand keine Resonanz.

Bei solchen Auftritten muss man sich fest vorstellen, alle Anwesenden würden die Präsentation von der ersten Sekunde an aufmerksam und begeistert verfolgen – obwohl einem die Optik das Gegenteil zeigt: Altersabhängige Konzentration lediglich bei den direkt vor einem im Gras sitzenden Kindern, neugierig-stechende Blicke einiger pubertärer junger Herren, die sich seitlich angeschlichen hatten und fest davon überzeugt waren, jeden Trick „herauszubekommen“. 80 Prozent der Erwachsenen nahmen anscheinend von unserer Vorstellung anfangs keinerlei Notiz – immerhin hatten wir als Opening die „Schirmillusion“ gewählt (zur Musik „Singing in the rain“): Die großen optischen Effekte lieferten uns wenigstens den Szenenapplaus des restlichen Fünftels. Trotz Tonanlage und Funkmikrofon war es nicht die Stunde des Wortes: Verbale Gags verpufften zunächst völlig wirkungslos; auf längere „zauberhafte Märchengeschichten“ im Programm hatte ich eh verzichtet.

Ein Dilemma wurde mir an diesem Tag wieder einmal klar: Man hat so viele „tolle, neue Effekte“, die man unbedingt einmal ausprobieren möchte. Bei „Krisenauftritten“ allerdings (und die werden nach meinem Empfinden immer häufiger) muss man die gezeigten Effekte „rückwärts und im Schlaf können“ – am besten auf der Basis einer dreistelligen Vorführerfahrung. Also werden die „kreativen Experimente“ mal wieder verschoben…

Was mich wirklich faszinierte: Innerhalb von 45 Minuten gelang es mir, mich hinsichtlich der Aufmerksamkeit des Publikums Reihe für Reihe nach hinten zu kämpfen! In den letzten 15 Minuten hatte ich die Zuwendung von mindestens zwei Dritteln des Publikums erobert, auch hinsichtlich meiner Moderation. Nach den „Odd Ropes“ und der Viereinhalb-Minuten-Routine des Ringspiels wurde mir sogar meine abschließende „Pièce“ im Stil der „Wiener Salonmagie“ abgenommen: Eine Effektfolge mit Produktionen von Tüchern und Blumen, zu der eigentlich Parkett, alte Möbel und Frack besser gepasst hätten als die nachmittägliche Atmosphäre auf der Wiese eines Pfarrfestes. Dazu noch Streicherklänge von Mantovani – altmodischer geht es kaum: In der Zauberszene würden sich die „Neuerer“ auskäuzen vor Ekel ob solch „verstaubter Darbietungen“. Gutes jedoch altert nicht: ein deutlicher Applaus, lächelnde Gesichter und das nachherige Staunen des Veranstalters darüber, dass es „trotzdem“ so schön geklappt hätte. Mehrfaches Dankeschön nebst unaufgeforderter Überreichung der Gage. Na dann…

Nicht zum ersten Mal hatten wir bei diesem Anlass das mit Händen zu greifende Gefühl, wir müssten zunächst den wachsenden Wust von Vorurteilen aus dem Weg räumen, welche immer mehr den Zugang zur Zauberei erschweren: Die Erwartungshaltung ist offenbar heute, dass es sich bei einem „Zauberer“ um einen niveaulosen Spaßmacher handle, der irgendwelche simplen Tricks zeige, welche bestenfalls für die Kinder geeignet seien. Na gut, die Blagen sind für eine Dreiviertelstunde beschäftigt, aber für uns Erwachsene ist das (im Gegensatz zum „Musikantenstadel“) nur Trash, nicht sehens- oder gar hörenswert.

Wir machen uns etwas vor, wenn wir diesen Imageverlust den Zuschauern in die Schuhe schieben – bei diesen ist der Anteil der Grenzdebilen sicher nicht höher als bei den Künstlern! Meines Wissens war es unser Altmeister Punx, der einmal gesagt hat, Zauberei sei eine noble Kunst, wenn sie in die richtigen Hände gelegt werde. Es ist unsere Sache, nicht in den Teufelskreis eines gegenseitigen Niveau-Limbos zu geraten. Der magische Anspruch muss darin bestehen, die Wirklichkeit vergessen zu machen – auch und gerade, wenn sie nach Bier und altem Frittierfett riecht. Punx-Texte funktionieren notfalls auch neben dem Würstlgrill, und man kann durchaus vor einer Hüpfburg Friedrich Hölderlin zitieren: "Ein Bettler ist der Mensch, wenn er denkt - ein König, wenn er träumt." Man muss es nur wollen.

Dienstag, 23. Juni 2015

Eine große Illusion?


Ich kenne den Zauberkünstler auf dem unten verlinkten Video nicht – und bin, ehrlich gesagt, ganz froh darum, meine Kritik nicht auch noch mit einem Namen verbinden zu müssen. Weiterhin mag ich nicht die Frage beantworten, ob es sich – wie angepriesen – wirklich um einen der „besten Magier der Welt“ handelt.

Ich will dessen persönliche Leistung gar nicht herabwürdigen: Das Bühnenbild ist imposant und passt vom Styling her ganz gut zu der vorgeführten Großillusion. Diese wird routiniert und zügig präsentiert, und bestimmt wirkt sie für das Laienpublikum – wie man ja in der Aufzeichnung sieht – halbwegs rätselhaft. Auch die Begleitmusik ist genügend bombastisch (ohne sich allerdings irgendwie einzuprägen) und liefert einen stimmigen Rhythmus für die Aktionen.

Ich habe das Beispiel ausgewählt, weil es für mich ziemlich repräsentativ die Schwächen von Tausenden solcher Darbietungen verkörpert: Es packt mich emotional nicht, weil es keine überzeugende Handlung hat, keine Geschichte erzählt.

Mir ist schon die Beziehung des Protagonisten zu seiner Partnerin nicht klar: Ist es ein freundschaftliches oder gar erotisches Verhältnis? Wieso will er sie dann umbringen? Oder möchte er ihr imponieren? Wieso lässt er sie dann nicht lieber zusehen, wie er jemand anderen drangsaliert? Am schlüssigsten wäre noch eine aggressive Einstellung zu ihr – dazu passt aber das recht nette Verhalten beider gar nicht.

In Wahrheit agiert das Duo ziemlich solitär nebeneinander her: Sie tanzt ein wenig herum, zunächst ohne, dann mit Fackel, während er im Hintergrund schon mal das Folterwerkzeug herrichtet. Anschließend gibt sie ihm noch Feuer für den speerbepanzerten Schieber, mit dem er sie aufzuspießen gedenkt – und unverständlicherweise steigt sie freiwillig in das hierfür vorgesehene Behältnis: Durchbohrung, Kiste leer, die Dame erscheint aus dem Publikum und tänzelt auf die Bühne zurück. Der Rest an Feuer flackert noch in des Magiers Hand und wird von ihr ausgepustet (für mich der netteste Effekt der Nummer).

Nur empfinde ich während der gesamten Darbietung weder Mitleid noch Furcht, nicht einmal Spannung, denn bereits wenige Sekunden nach Beginn weiß der unbefangene Zuschauer beim Anblick der Kombination „schöne Frau / Phallussymbole“, worauf die Sache hinauslaufen wird. Lediglich das Verschwinden der Assistentin wird wohl für viele überraschend sein, mindert jedoch in meiner Sicht den Effekt der Durchdringung, da man ja anschließend sieht, dass niemand zu diesem Zweck vorhanden war.

Was ich zudem an vielen dieser Darbietungen ärgerlich finde: Warum müssen weibliche Wesen, selbst wenn sie einen ganz guten Ernährungszustand aufweisen, beim Zaubern halbnackt herumlaufen? Schätzt man die Wirkung der Illusion so gering, dass man sich dieser Mittel bedienen muss?

Weiterhin besteht eine generelle Schwäche solcher Nummern darin, dass der magische Effekt erst relativ spät eintritt, hier nach zirka 62 bzw. 86 Prozent der Vorführdauer (Durchdringen respektive Verschwinden). Und das, obwohl zumindest der erste Höhepunkt ziemlich vorhersehbar ist!

Insgesamt – und das ist meine zentrale Kritik – reduzieren sich derartige Shownummern ganz wesentlich auf die Darstellung eines technischen Rätsels und fordern die Zuschauer geradezu auf, sich vorrangig damit zu beschäftigen. Und wie man anhand der Kommentare auf „YouTube“ sieht, geschieht dies manchmal durchaus mit Erfolg. Schade darum, man könnte dies durch eine gute Story, eine emotional mitreißende Handlung deutlich reduzieren. Leider sind aber Großillusionen oft keine
großen Illusionen...