O hochverehrtes Publikum,
sag mal: bist du wirklich so dumm,
wie uns das an allen Tagen
alle Unternehmer sagen?
Jeder Direktor mit dickem Popo
spricht: »Das Publikum will es so!«
Jeder Filmfritze sagt: »Was soll ich machen?
Das Publikum wünscht diese zuckrigen Sachen!«
Jeder Verleger zuckt die Achseln und spricht:
»Gute Bücher gehn eben nicht!«
Sag mal, verehrtes Publikum:
bist du wirklich so dumm?
(Kurt Tucholsky: „An das Publikum“, 1931)
Es gibt wohl keinen Künstler, der nicht schon einmal am Publikum verzweifelt wäre. Selber habe ich oft genug erlebt, dass Vorstellungen wenig ankamen, von denen ich mir viel versprochen hatte. Glücklicherweise kam es ebenso häufig auch umgekehrt: Auftritte, vor denen ich große Befürchtungen hatte, entpuppten sich als voller Erfolg.
Bis heute bleibt mir nur die Erkenntnis: Wie ein Programm laufen wird, kann man nie sicher vorhersagen. Genau dies ist aber auch der spannende Anreiz, es immer wieder vor den Zuschauern auszuprobieren.
Wir neigen in vieler Hinsicht dazu, stets einen Schuldigen zu suchen, wenn etwas schiefgeht. In Wahrheit muss das aber nicht so sein: Das Schicksal bestimmt halt, dass es in einer bestimmten Kombination nicht passt – nicht mehr und nicht weniger.
Diese Erkenntnis könnte dabei helfen, dass wir in solchen Situationen ruhig und gelassen bleiben – auf der Bühne wie im richtigen Leben. Mit verkrampften Reaktionen macht man es nur schlimmer.
Jedenfalls ist das Publikum nicht dazu verpflichtet, besonders schlau zu sein oder gar eine Vorstellung zu bejubeln. Allerdings habe ich immer wieder festgestellt, dass es bei weitem nicht so dumm ist, wie gerade Kulturfunktionäre meinen. Da hat Tucholsky sicher Recht. Daher habe ich nie versucht, „Niveau-Limbo“ zu betreiben: Zuschauer und Künstler müssen einander so akzeptieren, wie sie sind. Es bleibt stets ein Abenteuer.
Hier mein Video dazu:
https://www.youtube.com/watch?v=B6mkCoow6YY
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