„Die Familie (familia
domestica communis, die gemeine Hausfamilie) kommt in Mitteleuropa wild vor und
verharrt gewöhnlich in diesem Zustande.“
(Kurt Tucholsky: Die
Familie)
Liebe
Gastgeber,
ich
habe nun schon ein paar hundert Mal auf privaten
Festen wie Geburtstagen, Ehejubiläen, Taufen, Hochzeiten und Scheidungen
gezaubert. In vielen Fällen macht das wirklich Spaß, und ich möchte es auch in
Zukunft nicht missen. Und Ihren Gästen hat mein Auftritt offenbar auch
einigermaßen gefallen.
Dennoch,
so glaube ich, verläuft das Ganze öfters stressiger,
als es nötig wäre, sowohl für Sie selber als auch die eingeladenen Personen –
mich (und meine Assistentin) eingeschlossen.
Dies
ließe sich in vielen Fällen vermeiden, wenn Sie die Informationen, welche ich Ihnen schriftlich und bei einem
Vorgespräch – oft sogar vor Ort – übermittle, ernst nehmen würden. Ich fürchte
jedoch, Sie halten meine Warnungen
für übertrieben und glauben nicht, dass diese in Ihrem speziellen Fall
realistisch sind.
Sind sie doch!
Daher
im Folgenden einmal eine Zusammenstellung der kleinen und größeren Katastrophen, die sich auf Ihrem Fest
mit ziemlicher Sicherheit ereignen und die Wirkung meiner Zauberkünste
schmälern werden. Ich darf mal etwas übertreiben – in der Hoffnung, Ihren völlig
unbegründeten Optimismus zu beseitigen:
Nein, Ihre Gäste
werden nicht pünktlich eintreffen!
Das
liegt nicht nur am berüchtigten Autobahnstau und anderen
Verkehrsbeschränkungen. Gehen Sie einfach davon aus, dass die eingeladenen
Menschen über ein ähnlich lausiges
Zeitmanagement verfügen wie Sie: Die meisten unterschätzen chronisch die Menge
der noch zu erledigenden Aufgaben und überbewerten die hierfür noch zur
Verfügung stehende Zeit. (Besonders schlimm ist das bei Ärzten, welche wegen
dieser Dekompensation sogar Wartezimmer einrichten…) Dieser Effekt wird Ihre
Zeitplanung für den Event mindestens um 30 Minuten verzögern.
Nein, das Essen wird
nicht rechtzeitig fertig!
Der
Standardsatz, den ich bei meinem (fast immer pünktlichen) Eintreffen höre,
lautet: „Es wird sich noch etwas verzögern, wir haben gerade erst mit dem Essen
begonnen.“ (Und dies zu einer
Zeit, wo laut Planung die Nahrungsaufnahme schon fast abgeschlossen sein sollte!).
Bei diesem Mangel ist die professionelle Gastronomie den Laien haushoch
überlegen: Nach meinen Erfahrungen sind selbst Betriebe im oberen Preissegment
(wegen des Personalmangels in der Branche) heillos damit überfordert, ein Menü
für eine zweistellige Gästezahl einigermaßen zeitgerecht zu servieren (und
abzuräumen). Eine weitere Verzögerung
von mindestens einer halben Stunde ist so gut wie garantiert.
Nein, der eingeladene
Künstler möchte nicht schon vorher zum Essen kommen!
Abgesehen
davon, dass die meisten von uns trotz der lausigen Gagen nicht direkt vom
Hungertod bedroht sind und ein gemeinsames Mahl mit Ihrer Verwandtschaft – wie Sie
selber wissen – nicht unbedingt ein Vergnügen darstellt: Der von Ihnen gebuchte
Magier muss in Kürze ein Soloprogramm von einer knappen Stunde hinlegen und hat
zu diesem Behufe schon eine stundenlange Vorbereitung und Anfahrt hinter sich.
Sprich: Er läuft auf Adrenalin und
hat daher alles Mögliche, jedoch keinen
Hunger. Seine Konzentrationsspirale hat sich auf die vorgesehene
Auftrittszeit hin zentriert – und nun erfährt er, dass er noch eine Stunde (eventuell
in einer Abstellkammer) vor sich hin dünsten darf, bevor es endlich losgeht…
Nein, die
Zaubervorstellung wird nicht die einzige Darbietung des Abends bleiben!
Sie
können sich fest darauf verlassen, dass diverse liebe Verwandte und Freunde
(was ja nicht das Gleiche ist) mit etlichen „Überraschungen“ für Ihre Feier
aufwarten: Die Spanne reicht von langweiligen Festreden über das Aufsagen öder
Geburtstagsgedichte, die Aufführung niveauloser Sketches, längelangen Beamer-Shows mit
einer dreistelligen Zahl peinlicher Jugendfotos des Jubilars bis hin zu Darbietungen,
welche man bei größter Toleranz noch dem Oberbegriff „Musik“ zuordnen kann. Daher:
Nein, die meisten
Darbietungen solcher Laiendarsteller sind weder unterhaltsam noch künstlerisch
wertvoll!
Was
ich in dreißig Jahren Zauberei auf solchen Festen an ästhetischen Abartigkeiten erlebt habe, würde ein ganzes Buch
füllen: langweilige Ansprachen, Gedichte und Spielchen am Unterrand des
Intelligenzspektrums, Bildershows, bei denen das gelegentliche Versagen der
Technik eine Gnade sein kann, und vor allem: Musik in der Preislage von „Blödflockenduo der Enkel“ bis „Gesang wie nach Tritt auf Katzenschwanz“.
Und das alles muss natürlich vor Ihrem Zauberauftritt passieren, damit die Akteure
anschließend unbeschwert feiern können…
Das ist vielleicht gut gemeint - mehr jedoch keinesfalls!
Das ist vielleicht gut gemeint - mehr jedoch keinesfalls!
Nein, Sie dürfen
solche Beiträge auf keinen Fall zulassen!
Mein
Rat ist stets, einen „Zeremonienmeister“
zu bestimmen, bei dem die Gäste eventuelle „überraschende“ Zutaten zu der Feier
ankündigen müssen. Oft kann man dann im Vorfeld das Schlimmste verhindern –
etwa mit dem Hinweis auf die knappe zur Verfügung stehende Zeit oder dem
Argument, man habe für den Event bereits einen professionellen Künstler
gebucht. Sie sind der Gastgeber! Lassen Sie sich diese Rolle nicht aus der Hand
nehmen! Und keine Sorge:
Nein, Ihre Verwandten
werden trotz der Zurückweisung auch Ihr nächstes Fest besuchen!
Sinn
und Zweck einer Blutsbande ist es schließlich, sich durch den regelmäßigen
Besuch von Familienfeiern über die aktuelle Situation innerhalb der Mischpoche
auf dem Laufenden zu halten (und so auch regelmäßig zu kostenloser Verpflegung
zu kommen). Also unbesorgt: Die kommen wieder!
Nein, Sie müssen Ihre
Besucher nicht pausenlos bespaßen!
Nach
meinen Beobachtungen breitet sich immer mehr der Irrsinn aus, Feste auf Deibel
komm raus mit Unterhaltungsbeiträgen
vollzupumpen: Trotz entsprechender Fragen im Vorfeld erfährt der staunende Magier
dann oft erst vor Ort, der gemischte Jugendchor, die Jagdhornbläser sowie die
Kapelle der Freiwilligen Feuerwehr seien mit von der Partie. Am besten
engagiert man noch einen DJ, welcher etwaige peinliche Pausen von fünf Minuten
mit geistlosem Gewummer füllt. Schön, wenn ich dann nach dem „Anton aus Tirol“ oder dem „Original Kniebiesler Trio“ versuchen
darf, die vielleicht noch anwesenden Freunde poetisch-leiser Zwischentöne
anzusprechen…
Öfters
hatte ich bei meinem Auftritt dann den Eindruck, die Gäste seinen zwar nett und
gutwillig, jedoch nach stundenlangem Hineindrücken von Lärm, Geräusch sowie
Essen und Getränken einfach nicht mehr aufnahmefähig.
Weniger
ist oft mehr! Klar kann man eine Feier auch mit „spontanen" Beiträgen der Gäste gestalten. Sie aber haben doch für (hoffentlich) viel Geld einen halbwegs professionellen Entertainer engagiert - warum nützen Sie diese Chance nicht?
Und
zu schlechter Letzt:
Nein, Ihre Gäste
kapieren nicht, dass der Zauberkünstler zwei Zentner Equipment durch eine volle
Party schleppen muss!
Auch
wenn man es vorher deutlich angesprochen hatte, ist der zugesagte Parkplatz doch schon belegt, und nach
nervenaufreibendem Rangieren darf man seine Ausstattung durch einen Wald voller
Gäste schleppen (und entdeckt hernach beim Aufräumen, dass es einen
Hintereingang gegeben hätte). Zudem tritt regelmäßig das von mir „48-er Effekt“ genannte Problem auf: An
der schmalsten Stelle des Transportwegs versammeln sich zwei Damen mit besagter
Kleidergröße zu einem trauten, lückenlosen Gespräch und nehmen von Ihnen
keinerlei Notiz. Dies wiederholt sich mehrmals (da Sie ja öfters laufen müssen)
mit stets gleichem „Erfolg“.
Liebe
Gastgeber,
bedenken
Sie gerade hierbei den altbekannten Satz „Der
Weg ist das Ziel“ und schaffen Sie, was mir bei Ihrem Fest chronisch fehlt:
Ruhe und Platz.
Organisieren
Sie bereits im Diesseits Ihr Fest so, dass mein Entertainment seine Wirkung
entfalten kann, denn im Jenseits wird es nicht besser:
„Und wenn die ganze
Welt zugrunde geht, so steht zu befürchten, dass dir im Jenseits ein holder
Engel entgegenkommt, leise seinen Palmenwedel schwingt und spricht: »Sagen Sie
mal – sind wir nicht miteinander verwandt –?« Und eilends, erschreckt und im
innersten Herzen gebrochen, enteilst du. Zur Hölle.
Das hilft dir aber
gar nichts. Denn da sitzen alle, alle die andern.“
(Kurt Tucholsky: Die
Familie)
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