Sonntag, 30. Juni 2019

Publikums-Beschimpfung


Das Publikum fühlt sich am wohlsten, wenn eine Mittelmäßigkeit zu ihm redet.
(Oscar Wilde)

Wer „nur“ zaubert oder – wie ich seit längerer Zeit zunehmend – mit Musikern zusammen auftritt, sollte wissen: Es gibt zwei grundlegend verschiedene Arten von Auftritten.

Im einen Fall kommen die Zuschauer, weil sie genau diese Künstler, dieses Programm erleben wollen. Meistens mussten sie dafür Eintritt bezahlen. Fast immer verfolgen sie dann die Vorstellung ruhig und konzentriert. Man hat die Chance, wirklich nach der eigenen Leistung beurteilt zu werden – ist man also gut genug, erhält man großen Beifall und herzliche Zuwendung. Und wenn nicht, liegt es an einem selber.

Die andere Möglichkeit besteht darin, dass ein Veranstalter meint, das Programm könnte für seinen Event passen. Die Gäste haben oft keine Ahnung davon (wird ja teilweise als „Überraschung“ geplant) und sehen sich plötzlich irgendeiner Performance ausgesetzt. Das Risiko ist groß, dass einige oder gar viele mit dem Auftritt wenig bis nichts anfangen können – ist halt nicht ihr Geschmack. Oder, noch schlimmer, sie hatten sich vor allem auf ein opulentes Essen, einen gemütlichen Ratsch gefreut – und nun das!

Manchmal hat man dann von vornherein den Eindruck, von einem (manchmal sehr großen) Teil des Publikums geradezu ignoriert zu werden. Selbst simple Blickkontakte kommen nicht zustande. Da wird fröhlich geplaudert, gegackert und gelacht. Mikrofone helfen nur bedingt – dann muss man halt noch lauter schreien, damit der Gesprächspartner einen versteht. Und man darf sich auch gerne auf Beschwerden einstellen, die Verstärkung würde als „zu laut“ empfunden (wohlgemerkt: nicht das Gequatsche im Publikum)…

Wer, wie ich – als Zauberer und Moderator – mit Texten arbeitet, den trifft es natürlich besonders hart: Die müssten die Leute ja zunächst verstehen, um sie dann eventuell zu kapieren. Man kann ja nicht, wie die Musiker, sein Programm einfach runterspielen – komme, was da wolle.

Aber selbst bei denen merke ich dann, dass ihre Stücke nicht so frei und inspiriert klingen wie sonst. Klar – die ganzen Störfaktoren sind absolute Konzentrations-Fresser: Man kann seine Texte, die Musik nicht mehr so prägnant und locker umsetzen wie sonst, hängt stärker am Manuskript, und auch die Zaubereffekte geraten fummliger, verlieren ihren Rhythmus, ihre Eleganz.

Ich habe mich in solchen Situationen schon öfters beim Gedanken ertappt: Was tue ich mir den ganzen Scheiß überhaupt an? Interessiert doch eh keinen! Dass dies die künstlerische Ausstrahlung deutlich herunterfährt, ist klar – auch, wenn man sich natürlich bemüht, äußerlich locker und bei bester Laune zu bleiben. Und sicherlich lernt man bei jedem Auftritt etwas und sei es nur Krisen-Management...

Grundsätzlich verdienen die Zuschauer schon Verständnis: Sie sehen sich plötzlich einer Vorführung ausgesetzt, die sie nicht erwartet haben und welche vielleicht nicht ihrem Geschmack, ihren momentanen Bedürfnissen entspricht. Wie kann man dieses Dilemma auflösen?

Ich meine, es führt kein Weg an einem deutlichen Vorab-Gespräch mit dem Gastgeber vorbei. Ausgangsfrage sollte im Zweifel sein: „Glauben Sie wirklich, unser Auftritt passt für Ihr Fest?“ Eine musikalische Einlage kann man als Konzert oder Hintergrundmusik gestalten – dieser Unterschied muss von vornherein klar sein. Und ein Zauberauftritt oder eine Moderation erfordert halt stets eine gewisse Aufmerksamkeit. Punkt.

Das Problem ist nur: Das künstlerische Verständnis von Veranstaltern – und das gilt durchaus auch für manche Profis auf diesem Gebiet – passt oft in einen Fingerhut. Daher muss man in etlichen Fällen selber die Entscheidung treffen: „Unser Programm passt für Ihren Anlass leider nicht!“

Klar: Wir alle wollen lieber Vorstellungen geben als welche absagen. Daher bemühen wir uns natürlich nach Kräften, es noch irgendwie hinzukriegen. Aber ohne zumindest ansatzweise Bemühungen des Gastgebers geht es nicht. Er muss sich zu einem Lokaltermin bereitfinden, wo man zusammen die Örtlichkeiten inspiziert und alle nötigen Details bespricht.

Und gerade wenn noch weitere Darbietungen geplant sind, hat man sich auf einen halbwegs genauen Zeitplan zu verständigen. Man kann sich nämlich fest darauf verlassen: Für viele künstlerische Kollegen sind Begriffe wie „Organisation“, „Inszenierung“ oder „Regie“ wahrlich Fremdwörter. Die Feuerwehrkapelle trifft halt irgendwann ein und möchte dann sofort spielen. Wo ist das Problem? Und wie lange dauert ihr Programm? Keine Ahnung – kommt halt drauf an…

Ich habe schon Veranstalter erlebt, die es als unsägliche Zumutung empfanden, sich um die einfachsten Voraussetzungen für ein Gelingen zu kümmern, vielleicht sogar einen Mitarbeiter zur „Künstlerbetreuung“ abzustellen. Schließlich hat man den Artisten einen Auftritt ermöglicht, zahlt ihnen eventuell sogar eine Gage – den Rest sollen sie gefälligst alleine machen!

Nö, Leute, so wird das nix! Leider sind eure Gagen dann doch nicht hoch genug, dass ich – anders als die „Rolling Stones“ – einen größeren Stab von Roadies anstellen kann, die mir schon Stunden vor dem Auftritt alle Probleme aus dem Weg räumen. Dann engagiert lieber den „Akkordeon-Rudi“ oder „Fritz mit seiner singenden Säge“: Die brauchen außer Instrument, Stuhl und Notenständer höchstens noch Freibier! Vielleicht passt das auch eher zum vermutlichen Niveau des Events.

Und man könnte als Gastgeber den Programmpunkt bereits vorab veröffentlichen und auch bei der Veranstaltung ansagen – vielleicht sogar mit der Bitte, das Ganze aufmerksam zu verfolgen. Man hätte dann eher ein „Heimspiel“, als wenn einem zugemutet wird, einfach vor die nichtsahnenden Zuschauer zu treten und anzufangen. Manche Veranstalter scheuen eine Ankündigung wie der Teufel das Weihwasser. Ich werde den Verdacht nicht los, dass sie im Fall des Misslingens lieber nicht schuld sein wollen – keine Ahnung, woher diese Künstler plötzlich kamen…

Aber um nun doch noch zur „Publikums-Beschimpfung“ zu gelangen:

Sicher habe ich meine eigenen Erwartungen, wenn ich zu einer Festivität eingeladen werde. Und denen entspräche es bestimmt nicht, wenn nun plötzlich ein Chor auftreten und mich eine Dreiviertelstunde mit Gregorianischen Chorälen traktieren würde. Ich sehe dann zwei Möglichkeiten: Entweder die Veranstaltung diskret zu verlassen oder den Auftritt mit einem Minimum von Höflichkeit zu ertragen.

Was ich stattdessen schon erlebt habe, ist wahrlich unsäglich: So findet man offenbar nichts dabei, nicht nur die Vorstellung mit akustischen Immissionen zu stören, nein! Man schlendert beispielsweise knapp 50 Zentimeter vor mir vorbei, als ob da gar nichts wäre, fragt mich bei laufender Moderation, wie lange es noch dauere, ob ich mein Mikrofon nicht besser einstellen könne, oder hantiert unaufgefordert an der Lautsprecheranlage herum, weil es offenbar zu laut, zu leise oder sonst was ist. Für nicht zu dämlich hält man auch laut geäußerte Anregungen, was die Musiker stattdessen spielen sollten…

Steigt von diesen geistigen Triebtätern demnächst auch mal bei einer Faust-Inszenierung einer auf die Bühne und bittet den Mephisto, doch nicht gar so zynisch daherzureden?

Ich glaube, es fehlt manchen Zuschauern einfach das, was ich als „sozial angemessenes Verhalten“ bezeichnen möchte: Man sieht einfach keinen Unterschied mehr, ob man sich im eigenen Wohnzimmer, am Stammtisch oder auf einer mehr oder weniger öffentlichen Veranstaltung befindet. Und vor allem: Dass es sich bei den Künstlern vor ihnen nicht um digitale Bildschirm-Illusionen handelt, die man bei Bedarf wegzappen kann, sondern um lebendige Menschenwesen.

Und die haben viele Stunden, wohl sogar Tage oder Wochen, ihre Musik und Zaubereien geprobt, der Moderator hat ein Programm erstellt und Texte verfasst. Man hat seine Requisiten eingepackt, ein bis zwei Autos damit gefüllt und eine längere Anfahrt hinter sich, inklusive Transport zum Auftrittsplatz, Auspacken und Einrichten.

Wem das nicht den mindesten Respekt abnötigt, eine Vorstellung zumindest ungestört ablaufen zu lassen, eventuell sogar mit einem Minimum an Interesse, steht in seinen sozialen Begabungen noch unterhalb von Küchenschaben.

Die Rollen und Pflichten sind bei einem Auftritt klar verteilt: Damit er gelingt, müssen nicht nur die Künstler ihr Bestes geben, sondern auch Veranstalter und Publikum.

Ich fürchte, viele Verirrungen in unserer heutigen Gesellschaft wären vermeidbar, wenn man Trotteln wieder öfters sagen würde, dass sie welche sind. Daher dieser Artikel.

Und eins steht jedenfalls fest: Wir werden unser Programm nicht auf „Kufstein-Walzer-Niveau" reduzieren, weil es dann einen bestimmten Menschenschlag eher erreicht!

Ich habe fertig.

Foto: www.tangofish.de

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