Meine Art zu zaubern hat sich
maßgeblich verändert, seit ich zum ersten Mal die „Grand-Prix-Nummer“ des
legendären Fred Kaps sah:
Insbesondere der Schluss dieser
preisgekrönten Routine wird mir unvergesslich
bleiben: Der Magier greift – zum
wiederholten Male – zu einem kleinen Streuer mit Zaubersalz, jedoch scheinen
die Löcher verstopft zu sein. Er schraubt den Deckel ab und schüttet den Inhalt
in seine Faust. Aus jener rinnt dann ein nicht enden wollender Salzstrahl, das ursprüngliche Gefäß läuft über.
Kaps ist augenscheinlich
völlig überrascht
von diesem Effekt, wird mit der Zeit immer verlegener,
versucht, die Fülle in der anderen Hand
aufzufangen und Salz in die Tasche zu stecken,
malt mit dem weißen Rinnsal Figuren auf den Boden und gestikuliert entschuldigend in Richtung Publikum. Längst ist die Musik
zu Ende, er deutet händeringend in Richtung
Kapelle, welche daraufhin noch mehrfach zum
Finale ansetzt, mit komischer Verzweiflung blickt er auf den Salzhaufen zu seinen Füßen – schließlich, zu den
letzten Takten der Begleitung, ein Leerzeigen
der Hände: Die Illusion ist vorbei, und er geht
ab.
Das Umwerfende daran ist,
wieder einmal, nicht der Effekt (Salzvermehrung),
sondern die Präsentation:
Nicht der
Vorführende, sondern „es“ zaubert!
Der wird von den
Ereignissen genauso „überrollt“ wie
das Publikum – und dieses „spiegelt“
seine Verblüffung.
Mit jenem Konzept ersparen Sie sich vor allem bei
jüngeren Zuschauern die lästigen Fragen, „wie
es geht“ – Sie wissen es ja selber nicht, die Effekte passieren einfach,
scheinbar ohne Ihr Wollen. Sie verlassen so die angreifbare Position des Alleskönners
und -Wissers, welche junge Zuschauer sehr gerne austesten, indem Sie sich
(in dieser Hinsicht!) auf die Stufe der Kinder stellen.
Mit einer solchen Strategie können Sie die meisten Aufsitzereffekte
auch vor jungem Publikum zeigen: Nachdem Sie längere Zeit die Proteste aus
dem Zuschauerraum nicht verstanden haben, kapieren Sie endlich die
Lösung, wiederholen sie lauthals (für alle, die den Plot noch nicht erfasst haben) und „untersuchen“
die Requisiten entsprechend.
Groß ist Ihr Erstaunen, dass es wohl doch nicht so
einfach funktionieren kann. Aber wie dann? Keine Ahnung – es ist halt Zauberei!
Zumindest teilen Sie den Frust mit Ihren kleinen Zuschauern, und die sind
beruhigt, dass ein Erwachsener ebenfalls nicht durchblickt.
Beim berühmten „Würfelkasten“
beispielsweise leuchtet Ihnen endlich ein, dass der Kubus nur hin- und her rutscht.
Toll! Sie wollen ihn wieder herausholen und die Sache noch einmal probieren –
doch er ist verschwunden. Nach Suchen und Grübeln kommen die Kinder
wahrscheinlich selber darauf, einmal im Hut nachzusehen. Da ist er Gott sei
Dank wieder, und Sie bedanken sich für den Tipp!
Die Metaebene betrifft
die Älteren, welche selbstredend Ihre Taktik durchschauen, die darin liegende
Raffinesse bewundern – und genauso wenig wissen, wie es wirklich geht!
Ein Zauberprogramm für
Kinder muss stets komische Momente enthalten: Glücklicherweise lacht man
in jugendlichem Alter (noch) gerne – und zwar am liebsten über Erwachsene,
denen auch einmal etwas misslingt. Wenn Sie beispielsweise mit dem Zauberstab
leicht auf Ihre Faust klopfen, den Schlag aber zu stark dosieren und sich
anschließend vor Schmerzen krümmen, wird die Begeisterung von Siebenjährigen kein
Ende kennen! Insofern hat das scheinbare Misslingen
von Kunststücken einen hohen Unterhaltungswert.
Nicht nur im
Kasperltheater wirkt das schon angesprochene „One ahead-Prinzip“ bei
Kindern grandios, da ja wiederum eine Situation eintritt, in der sie dem
Erwachsenen auf der Bühne einen Schritt
voraus sind (alle sehen das
Krokodil, bloß der Kasper nicht). Ein schönes Beispiel bietet das
Kunststück „Run Rabbit Run“ (oder
auch „Häschenburg“), bei dem
die Zuschauer längst bemerkt haben, dass der Hase von der einen zur
anderen Seite gesaust ist – nur nicht der Vorführende.
Hierbei müssen Sie
allerdings ein feines Gespür dafür entwickeln, welchen Grad an eigener Dämlichkeit Ihnen die Kinder
noch abnehmen. Zudem nutzen sich sämtliche Strategien in einem Programm
ab, daher ist auch dieses Manöver kein Allheilmittel für einen ansonsten spannungsarmen
Auftritt!
Kleine Zuschauer sind
fasziniert von skurrilen Geschichten mit möglichst
absonderlichen
Requisiten: Ein Zauberstab, der in die Luft springt, von dem die Enden
abfallen oder der sich in einen Kochlöffel oder gar eine Klobürste verwandelt,
bereitet ihnen oft mehr Vergnügen als der magische Höhepunkt einer Routine.
Überlegen Sie, mit welchen komischen
Zwischenspielen Sie den Ablauf würzen können:
Der Weg
ist das Ziel!
Merke:
Aus der Sicht von Kindern beschäftigen sich Erwachsene mit
„ernsthaften“
Dingen – ein Zauberer dagegen „spielt“: Dies bildet das größte Faszinosum für
die Kleinen!
Doch verwenden Sie auch
solche Stilmittel nicht im Übermaß! Ein Erwachsener,
der zum fünften Mal rechts
und links verwechselt oder dem schon wieder ein Seidentuch herunterfällt, wirkt
bereits auf Kleinkinder unglaubwürdig. Zudem treten Sie als Zauberer auf,
nicht als Clown (eine ganz eigene Kunstgattung, deren Erlernen sicher
nicht einfacher ist als unsere Profession). Ersterer zeichnet sich jedoch
dadurch aus, dass ihm Dinge gelingen,
zu denen normale Menschen nicht fähig sind, bei Letzterem
ist eher das Gegenteil der Fall – ein Widerspruch, der prinzipiell nicht
auflösbar ist.
Große Komiker wie Charly
Chaplin oder Jaques Tati kamen oft sehr
konventionell daher, nur misslingt ihnen dieses Streben nach Anpassung immer
wieder grandios – und aus dem Kontrast entsteht das Vergnügen, welches sie
uns bereiten: Der Darsteller ist eher ernst
– lustig finden wir ihn! Oder stellen Sie sich Freddie Frinton in
seinem legendären Sketch „Dinner for one“ einmal im Clownskostüm statt
in der Butler-Livree vor! Übrigens haben große Clowns wie Charlie Rivel diese
„ernsten“ Anteile stets berücksichtigt und waren weit mehr als „Possenreißer“!
Insofern habe ich bei
Kollegen, welche in schreiend bunter Aufmachung mit Bommelnase plus komischem
Hütchen vor Kindern auftreten und sich gerne als „Clown-Zauberer“ bezeichnen,
meine Bedenken: Oft genug erlebt man ein (nicht immer besonders gekonntes) Herumgeblödel,
das mit wenigen simplen Zaubereffekten versehen wird. Das mag ja bei
Kleinkindern halbwegs funktionieren, doch wie steht es um die bereits
angesprochene Metaebene? Ältere Kinder und Jugendliche lehnen eine solche
Darbietung vielleicht eher als „Babykram“
oder gar „Quatsch“ ab, und bei Erwachsenen etabliert sich die Vorstellung,
die Zauberkunst basiere vor allem auf klamottigen Gags und nicht auf
feinsinnigen und undurchschaubaren Illusionen. Steigert man nach einem solchen
Auftritt seine Chancen, für ein Erwachsenenprogramm
gebucht zu werden?
Komik ist
in unserem Metier ein Stilmittel, welches die Wirkung von
Täuschungen
fördern kann – mehr aber auch nicht!
Wie bereits angedeutet,
ordnen gerade Kleinkinder Gegenständen
(noch dazu außergewöhnlichen wie beim Zaubern) die Rolle von Lebewesen zu. Bauen Sie an geeigneten
Stellen unbedingt Animationen ein, indem Sie den Requisiten Namen oder
andere persönliche Eigenschaften geben – vielleicht ist ein Seil ja in
Wirklichkeit eine Schlange, eine hohe Säule ein Riese, ein Tuch ein
Schmetterling usw.
Bedienen Sie die
reichhaltig vorhandene Fantasie der jungen Zuschauer! Im Bemühen um ein
„kindgerechtes“ Kunststück zauberte ich in meiner Anfängerzeit öfters ein Stoffkaninchen aus einer „leeren“
Kiste, welches ich dann „zappelnd“ in den Händen hielt. Immer wieder erhielt
ich dabei von älteren Kindern den Zuruf „Ej Mann, der ist ja gar nicht
echt!“ (was natürlich auch die Illusion bei den Kleineren killte), worauf ich
den Effekt nur noch bei Senioren zeigte (wo er sehr gut ankam).
Inspiriert vom Film „Sein
Freund Harvey“ mit James Stewart erfand ich später eine Routine mit dem zwei Meter
großen, unsichtbaren Hasen
gleichen Namens, dessen Aktionen ich mit diversen Zaubereffekten animierte. Das
Ganze wirkte auf die Junioren bombig, und das Verrückteste ist: Noch nie hat
ein Kind, gleich welchen Alters, die Existenz
dieses Tiers bezweifelt – er war, im Gegensatz zum nachgemachten Fellknäuel,
sozusagen „echt“!
Insgesamt bilden Auftritte
vor Kindern immer eine Gratwanderung, bei der man das eine tun muss,
ohne das andere zu lassen:
·
Verwenden Sie eine leicht verständliche
Sprache, ohne in „Babygeplapper“ zu verfallen.
·
Zeigen Sie einfache, stark optische
Effekte, die aber auch für Größere undurchschaubar sind.
·
Arbeiten Sie anschaulich
und mit Animationen!
·
Verwenden Sie skurrile
Zwischenspiele.
·
Setzen Sie Tempo und Pausen situationsgerecht ein.
·
Lernen Sie die Unruhe
so zu steuern, dass sie produktiv
bleibt.
·
Seien sie nett und freundlich, ohne die Inszenierung aus der Hand zu geben.
·
Schaffen Sie Möglichkeiten der Publikumsbeteiligung, die den Gesamtablauf nicht gefährden.
·
Leisten Sie sich scheinbare „Pannen“,
aber behaupten Sie Ihre Alpharolle.
·
Arbeiten Sie mit Metaebenen
für die verschiedenen Altersstufen.
·
Bleiben Sie für Ihre kleinen Gäste ansprechbar, aber nicht ständig und in jeder Situation.
·
Registrieren Sie Zwischenrufe,
aber bestimmen Sie Ihre eigene Art der Reaktion
darauf.
·
Setzen Sie Komik ein,
ohne in niveauloses Gealbere zu verfallen.
·
Bestehen Sie auf geeigneten Rahmenbedingungen
– auch auf die Gefahr hin, dass Ihnen einmal ein Engagement entgeht.
Und schließlich: Denken
Sie darüber nach, ob Sie Kinder mögen
– nur dann sollten Sie solche Vorstellungen geben!
Niemand hat behauptet,
dass dies alles einfach sei. In seinem sehr empfehlenswerten Buch „Kinderzauberei – (k)eine Kunst?!“
schreibt Marc Dibowski:
„Für Kinder muss man zaubern wie
für Erwachsene – nur besser.“
Sehr schöne, gute und hilfreiche Ideen zur Zauberkunst für Kinder. Viele Grüße. Sven Catello
AntwortenLöschenEin großes Kompliment, für das ich mich herzlich bedanke!
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