Viele
Magier beschäftigen sich fast ausschließlich mit den Effekten, die sie zeigen
(wollen). Die Zuschauer sehen dies anders: Vor Jahren gab ich an
Volkshochschulen und ähnlichen Einrichtungen Zauberkurse für Laien. Den
Teilnehmern habe ich öfters die folgende Aufgabe gestellt:
Erinnern
Sie sich an die letzte Zaubervorstellung, die Sie gesehen haben!
- Wie war der Name des Künstlers?
- Können Sie kurz den Ablauf eines seiner Kunststücke wiedergeben?
- Beschreiben Sie den Eindruck, den er auf Sie gemacht hat!
Das
übliche Ergebnis: An den Namen des Kollegen erinnerte man sich nur selten („irgendwas
mit –ini“), ebenso erhielt ich kaum jemals eine halbwegs genaue Darstellung
eines gezeigten Effekts (lediglich manchmal Aussagen wie „etwas mit Karten“, „ein
Seiltrick“, „kleine Bällchen sind gewandert“, „er hatte eine Waschbär-Handpuppe“
etc.). Der persönliche Eindruck des Zauberers, der „Typ“ hingegen war den
Angesprochenen noch recht präsent, also ob man ihn beispielsweise routiniert,
freundlich, witzig, charmant oder aber distanziert, dilettantisch, albern bzw.
langweilig fand.
Was
ich Ihnen damit klarmachen will:
Das Publikum bewertet in
erster Linie Sie und nicht die von Ihnen gezeigten Effekte!
Daher sollten Sie sich
intensiv mit Ihrer „Bühnenrolle“ beschäftigen.
Merke:
Männer möchten gerne Zauberer sein – so wie Frauen Prinzessinnen!
Zunächst
sollten Sie sich entscheiden: Wollen Sie sich dem „Mainstream“ stellen? Vor einem Rockerclub beispielsweise kommt
eine martialische Figur in Lederkluft, die sich aus Stahlketten befreit,
bestimmt bestens an, und gewisse Kreise finden es sicher herrlich „schräg“,
falls Sie sich als durchgeknallter Psychopath gleich einmal einen 5 Zoll-Nagel
durch die Zunge treiben. Oma und Opa (und auch die meisten anderen Zuschauer)
werden es bei der Feier ihrer Goldenen Hochzeit aber attraktiver finden, wenn
Sie höflich und nett, also „normal“ daherkommen. Studieren Sie einmal den Typus
von Moderatoren, die in den Medien hohe Einschaltquoten erzielen, dann wissen
Sie, was man unter „Massengeschmack“ versteht!
„Ein
Zauberkünstler ist ein Schauspieler, der einen Zauberer darstellt.“
(Jean
Eugène Robert-Houdin)
Stellen
Sie sich selbstkritisch die Frage: „Wer will ich bei einer Vorstellung sein?“
Innerhalb unseres Fachs haben Sie da eine große Auswahl: Vielleicht der smarte
junge Mann, der gemütliche Märchenonkel, der Typ mit dämonischer Ausstrahlung,
der mit ironisch-satirischen Texten punktende Kabarettist, der
sympathische Irre? Die Möglichkeiten sind schier unendlich – wenn da nicht die
zweite Frage wäre:
„Nimmt
man mir diese Rolle ab?“
Zu
diesem Thema haben Sie hoffentlich einen verlässlichen Freundeskreis (gemeint
sind nicht Ihre Zauberkollegen,
welche Ihnen völlig unbrauchbare „Insideransichten“ liefern)! Diesen müssen Sie
schonungslos befragen – und das Feedback des Publikums bei Auftritten
registrieren (lassen).
Wenn
Sie kein professioneller Mime sind, sollten Sie Ihre Bühnenrolle nicht allzu weit
von Ihrer tatsächlichen Persönlichkeit ansiedeln. Aber beachten Sie den
Unterschied zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung! Möglicherweise bemerken die
Zuschauer bei Ihnen andere Eigenschaften als diejenigen, welche Sie sich selber
zubilligen. (Persönlich sehe ich mich beispielsweise eher als zurückhaltend und
sensibel, während Beobachtern meiner Auftritte vorwiegend Begriffe wie
„überlegen“ und „selbstsicher“ einfallen.) Auf jeden Fall gilt stets die Außenansicht – und aus der müssen Sie Ihre Rolle entwickeln!
Eine
Diskrepanz zwischen Innen- und Außenansicht zeigt sich an Rollenbrüchen, welche die Zuschauer irritieren und so den Eindruck
Ihrer Show schwächen. Beispiele gibt es zuhauf:
·
Ein
jugendlicher Zauberer, der sich zu Beziehungsproblemen äußert.
·
Ältere
Kollegen, die sich tänzerisch mit „dynamischer Musik“ abmühen und deren Kostüm
man anmerkt, dass es vor 20 Jahren einmal gepasst hat.
·
Illusionist,
welcher mit „internationalem Flair“ beeindrucken will und englische Sätze
falsch ausspricht.
·
grobmotorisches
Bewegungsschema bei elegant wirken wollenden Manipulationen
·
„märchenhafte“
Show mit Requisitenmüll im Hintergrund
·
Dialoge
mit Helfern aus dem Publikum, die kommunikativ wirken sollen, aber eher aus einer
Abfolge eingelernter Witze bestehen
So, und auf der Basis einer überzeugenden Rolle wählen Sie dann Ihre Kunststücke - und zeigen nicht den "schwebenden Tisch", nur weil das derzeit viele tun!
So, und auf der Basis einer überzeugenden Rolle wählen Sie dann Ihre Kunststücke - und zeigen nicht den "schwebenden Tisch", nur weil das derzeit viele tun!
Auf
jeden Fall aber gilt:
„People
pay for background“ – „Die Leute zahlen für Niveau“ (Harlan Tarbell)
Wenn
Sie als Zauberer auftreten, sind Sie nicht der „Herr Müller von nebenan“, sondern ein Mensch mit ganz besonderen,
herausragenden Fähigkeiten. Daher muss Ihr Auftreten stets eine Klasse besser (oder zumindest „anders“) sein als das der
übrigen Gäste. Dies gilt für die Gepflegtheit Ihrer Erscheinung, Ihre Kleidung,
Ihre Sprache, Ihre Bewegungsweise, das Aussehen der Requisiten und vor allem
die Kommunikation mit dem Publikum.
Daraus
erklärt sich die Problematik von Darbietungen vor nahe stehenden Menschen.
Diese kennen Sie in Ihrer alltäglichen Rolle und nehmen Ihnen daher den Wechsel
zum „Zauberer“ nur schwer ab. Ein Großteil der magischen Wirkung ergibt sich
aber genau aus dieser persönlichen
Ausstrahlung! Aus dem gleichen Grund vermeide ich es, mich vor meiner Darbietung
schon im Publikum sehen zu lassen. („Kommen
Sie doch eine Stunde früher, dann können Sie noch mit uns essen!“) Ich
möchte die Schauspieler einer Theateraufführung auch nicht vor Beginn im Kostüm
an der Bar stehen sehen – meine Illusion wäre dann beeinträchtigt.
„Magier“ ist ein Archetyp,
der bei den meisten schon ab dem Kleinkindalter geprägt wird. Ich habe immer
wieder festgestellt, dass dieses Bild durchaus noch bei Erwachsenen aktiv ist.
„Alltägliche“ Schwierigkeiten wie die Suche nach einem Parkplatz, den Transport
sperriger Utensilien über enge Treppen oder den Kampf mit Stromanschluss und
Verlängerungskabel vermutet man bei Ihnen eher nicht. Auch volljährige
Veranstalter sehen Sie irgendwie als einen, der auf dem Besen einfliegt, sich
vor das Publikum stellt, die Requisiten aus der Luft greift und – einfach
zaubert. Dass Sie jedoch für ein Dreiviertelstunden-Programm eine dreistellige
Zahl von Einzelteilen ein- und auspacken, platzieren und eventuell noch
präparieren, sich um Licht und Beschallung kümmern müssen, sollten Sie sehr
diskret handhaben. Wenn die Zuschauer Sie vorher schon beim Zusammenschrauben
irgendwelcher Geräte oder dem Kampf mit Musikanlage plus Mikrofon bewundern
dürfen, nimmt man Ihnen hernach nicht mehr ab, dass Sie über den Naturgesetzen
stehen!
Sie sind das Alphatier –
nehmen Sie diese Rolle an!
Wegen
Ihrer vermuteten Fähigkeiten steht diese Funktion sowieso für Sie bereit (falls
Sie diese nicht schon im Vorfeld durch Ihr Verhalten ruiniert haben). Ab Beginn
des Auftritts sind Sie mit Abstand die wichtigste
Person im Raum – das müssen Sie aber voll akzeptieren und umsetzen! Leider
sieht man das Gegenteil recht häufig: Kollegen, die sich vorab dafür
entschuldigen, dass sie jetzt zaubern, wo es doch echte Zauberei gar nicht gäbe
(am besten noch begleitet von diversen Übersprungs- und Verlegenheitsgesten,
inklusive hängenden Schultern sowie gesenktem Kopf). Wundert es Sie dann, wenn
Ihnen (vor allem bei Kindervorstellungen) die Inszenierung ganz schnell
entgleitet, Sie sich der Zwischenrufe und anderer Störungen kaum noch erwehren
können – und das bei mäßigem Beifall? Ergehen Sie sich am Anfang nicht in
Reflexionen der Situation, sondern kommen Sie (wie jedes andere Alphatier auch)
herein und ganz schnell zur Sache –
nämlich zur Zauberei!
Haben
Sie im Zirkus schon einmal Raubkatzen vor Beginn der Dressurdarbietung dabei
beobachtet, wie begierig die sich vor dem Laufgitter drängen, weil sie endlich
in die Manege wollen? Und Sie? Treibt es Sie unverzüglich und dringend auf die Bühne,
um den Zuschauern endlich Ihre Fähigkeiten zu beweisen? Wirklich sofort und ohne Einschränkungen wie
„vielleicht“, „einerseits“ und „eigentlich“? Sorry, aber wenn dieses „Rampensau-Gen“ in Ihrem Erbgut fehlt,
wird es schwierig – lernen kann man das nur sehr begrenzt! Zum Trost bleibt
Ihnen dann immer noch die Beschäftigung, welcher die Mehrzahl der Hobbymagier
nachgeht: Zaubertricks sammeln und zu Hause am Schreibtisch ausprobieren.
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