Montag, 13. März 2017

Tango und Magie: von der Geisterbahn zur Schießbude



Hinter mir liegt ein Wochenende mit Tango und Zauberei. Exemplarisch habe ich wieder einmal die Licht- und Schattenseiten beider Beschäftigungen erlebt. Im Detail darauf eingehen möchte ich jedoch nicht: Kollegenschelte liegt mir fern, solange ich mich nicht gezwungen sehe, zu irgendeinem veröffentlichten Mist Stellung zu beziehen. Allgemein aber sind mir die deutlichen Parallelen meiner beiden Leidenschaften aufgefallen. Daher werde ich – erstmalig – diesen Text sowohl auf meinem Zauber- wie auch meinem Tangoblog veröffentlichen.

Die „Szenen“ dürften zahlenmäßig vergleichbar sein: Die größte deutsche Vereinigung, der „Magische Zirkel von Deutschland“, hat knapp 3000 Mitglieder. Da die Aufnahme in den erlauchten Kreis von einer Probezeit sowie vom Bestehen einer theoretischen und praktischen Prüfung abhängt, dürften sich mindestens zehnmal mehr Menschen ohne Vereinsmitgliedschaft (wie ich) mit der Zauberei beschäftigen. Allerdings ist deren Popularität im Sinkflug begriffen, während Tango derzeit „in“ ist und immer mehr Interessenten (zumindest eine Zeitlang) anzieht.
   
Der „Trick“ spielt in der Magie eine frappierend ähnliche Rolle wie die „Tanzfigur“ beim Tango. In beiden Szenen hat ein „Dealer“ (ob nun Zauberhändler, Seminarveranstalter oder Tanzlehrer) nur dann Erfolg, wenn er seinen Verkauf darauf abstellt. Erfreulicherweise sind allerdings viele Hobby-Magier eher „Jäger und Sammler“: Sie basteln oder kaufen Requisiten, probieren damit herum und belästigen vielleicht ihren Familien- oder Freundeskreis, treten aber nicht öffentlich auf. Im Tango hingegen werden neue „Figuren“ meist nach sehr kurzer Übungszeit coram publico vorgezeigt – oft zum Leidwesen nicht nur des Tanzpartners…

Die dahinter stehenden Legenden aber sind frappierend ähnlich: Viele Magier glauben, sie könnten zaubern, wenn sie die Gebrauchsanleitung ihres Requisitenhändlers halbwegs umsetzen können. Tangotänzer meinen, sie könnten tanzen, wenn sie die schrittemäßigen Anweisungen ihres Lehrers (oder die hundertmal abgespulte YouTube-Sequenz) annähernd hinbekommen.

Die „Experten“ unterscheiden sich in beiden Bereichen lediglich durch die Herkunft: Im Tango gilt alles Argentinische als schwer angesagt, beim Zaubern kommen Zelebritäten eher aus den USA. Das Gewese, welches um das Führungspersonal gemacht wird, ist jedoch völlig vergleichbar: Dieses verkörpert zweifellos den wahren Tango respektive die vollkommene Magie. Deren lokale Repräsentanten nennt man „Veranstalter“ beziehungsweise „Ortszirkelvorsitzende“ – beiden Gruppen kommt ebenfalls Unfehlbarkeit zu, jedenfalls im örtlichen Bereich.

Das Pendant zur grassierenden Workshop-Flut im Tango sind die Seminare, welche ein unverzichtbarer Bestandteil insbesondere von Zauberkongressen sind. Internationale Stars verkaufen dort magische Effekte, welche natürlich nur mit den angebotenen Requisiten umsetzbar sind. Nach dem Erwerb dieser Utensilien zum zirka Fünfzigfachen des Materialpreises stellt der magische Novize dann oft fest, dass der Trick bei ihm nicht annähernd die Wirkung ausstrahlt wie beim Meister. Ein ähnliches Resultat entsteht bei den Tangotänzern: Ihr holperiges Abtanzen des gekauften Schritts entbehrt regelmäßig ebenso die Eleganz der Vorführung durch das argentinische Showtanzpaar. Weder Tangotänzer noch Zauberer hält dies allerdings davon ab, massenhaft zur nächsten Verkaufsveranstaltung zu rennen…

Eine erstaunliche Parallele beider Sparten bilden auch die Anachronismen: In einer teilweise konstruierten Historisierung beschwört man im Tango musikalisch und verhaltensmäßig die „guten alten Zeiten“ via Schellack-Geschrammel und Ritualen aus verklemmten, repressiven Zeiten. Ebenfalls ins Gestern versetzt fühlt man sich in vielen Zaubershows, wo immer noch das Klischee von Zylindern, Hasen, Zaubersprüchen und Sternchenumhang gepflegt wird. Auch Glitzer spielt in beiden Branchen eine wichtige Rolle. Während man ihn beim Tango vor allem beim weiblichen Outfit (speziell den Schühchen) findet, schmückt er – in ähnlich Augenkrebs verursachenden Farbkombinationen – die Kisten und sonstigen Gerätschaften der Hokus-Pokus-Männer. In beiden Bereichen scheint ein zentrales Thema „Rummelplatz“ zu sein: Bei der Magie eher in Gewand und Sprachduktus der Geisterbahn-Ansager, im Tango speziell im Habitus von Damen, welche teilweise auch heute noch in den Schießbuden die neuen Tonröhrchen aufstecken…

Auch das Geschlechterverhältnis ist in diesen Branchen frappierend ähnlich: Der große Herr und Meister führt – ob mit Budapester Schleichern oder Zauberstab – und der Damenwelt bleibt die Rolle der willenlos Geführten oder liebreizend wirkenden, aber etwas debilen Assistentin – in beiden Fällen dermaßen gewandet, dass sie dem Illustrierten-Klischee von Sexappeal entsprechen.

Weil ja das Wichtigste der Trick respektive die Tanzfigur ist, stellen viele Zauberprogramme und Tänze eine ziemlich sinnlose Aneinanderreihung dieser Elemente dar. Um das große Ganze, also die Geschichte, die man erzählt, die Botschaft oder die Interpretation eines Musikstücks geht es eher nicht: In beiden Bereichen beendet man das Nachdenken an einem Punkt, wo es gerade erst spannend werden könnte.


Nicht nur jeder Tango, sondern ebenso alle Zauberkunststücke haben einen bestimmten Rhythmus – mit Modulationen, Pausen, Höhepunkten. Man kann versuchen, dies alles umzusetzen. Man kann es aber auch lassen.

Eine schlimme Folge davon ist die weitgehende Abwesenheit persönlicher Stile: Im heutigen Tango sieht man – bedingt durch die gleichförmige Musik und die zahlreichen „Tanzregeln“, austauschbare, gleichförmige Bewegungen zuhauf. Und in der Zauberei bekomme ich von den Händlern nach wie vor viele Tricks angeboten, welche man mir auch schon vor 30 Jahren verkaufen wollte. Die Texte, die den Beschreibungen oft beiliegen, sind immer noch dieselben und werden nach wie vor eins zu eins abgekupfert – persönliche Kreativität: flächendeckend Fehlanzeige.

Es liegt nahe, dass ich mit beiden Szenen meine Probleme habe: Meine Diskussionsversuche mit einer bestimmten Sorte von Tangomenschen sind hinreichend bekannt und gekennzeichnet von deren permanenten Unwillen, sich mit meinen Argumenten auseinanderzusetzen. Stattdessen ergeht man sich in Herabsetzungen meiner Person, meist gefolgt von Schweigen.

Beim Zaubern habe ich früher gleichfalls versucht, den Fokus auf die Dinge zu richten, welche für mich maßgeblich sind: Nachdenken über die Rolle, die man spielt, die Geschichten, welche man erzählt, die Art und Psychologie der Präsentation, dass nicht der Trick im Vordergrund steht, sondern der Vorführende, dass die Kunststücke lediglich Gedanken und Emotionen bebildern.

Mit beiden Populationen hätte ich sehr gerne kommuniziert – nur: In welcher Sprache? Doch es gibt die jeweiligen Kampfbegriffe, welche jeden Widerspruch verstummen lassen: Hier „Buenos Aires“, dort „Profi“. Maßgeblich ist stets, dass man mit seiner Tätigkeit (zumindest angeblich) seinen Lebensunterhalt verdient: Dann kann man nicht irren.

In beiden Bereichen habe ich das Wichtigste dort erfahren, wo das wirkliche Leben spielt: Tango lernt man vor allem durch tanzen, zaubern durch Auftritte vor realem Publikum. In beiden Fällen muss man allerdings einen Dialog führen: mit dem Tanzpartner wie mit den Zuschauern. Wenn man offen für dieses Feedback ist, kommt man weiter. Setzt man sich den Monologen von Experten aus, dann nicht.

Damit mich nur die missverstehen, welche es unbedingt wollen: In beiden Branchen gibt es wunderbare Vorbilder, die meine Leidenschaft nach wie vor wach halten. Der Durchschnitt jedoch sieht eher so aus:

 

P.S. So ginge es auch – aber das können halt die wenigsten… 

2 Kommentare:

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