Diese
Frage beschäftigt mich, seit ich zaubernd und moderierend vor Publikum
auftrete: Es gibt ein paar Sekunden,
die darüber entscheiden, wie die Zuschauer
deine Darbietung einschätzen – ob sie dich mögen werden, eher reserviert
die Show verfolgen oder gar nach Gründen suchen, warum sie dich ablehnen. Das
alles entscheidet sich in wenigen
Augenblicken!
Es
passiert meist schon beim Intro, in der ersten Minute, so wie beim legendären
Auftritt von Paul Potts in der
Casting-Show „Britain’s got Talent“ aus dem Jahr 2007. Hier liegt der magische Moment ziemlich genau bei 1:11.
Was erschwerend hinzukommt: Vorher hat der Gute optisch schon fast alles versaubeutelt:
schiefe Zähne, schlecht sitzender Anzug, linkische Bewegungen. Die Meute ist
bereits in „Feixbereitschaft“. Doch dann – nach den einleitenden, ruhig
getragenen Grundtönen haut er den strahlenden Melodie-Beginn der Puccini-Arie mit einer derartigen Verve
heraus, dass die Welt zuerst stillsteht und sich dann um 180 Grad dreht: A star is born…
Wenn
ich auf meine eigenen Auftritte
zurückblicke, kommt mir dabei stets der Gedanke: Was, wenn exakt in diesem
Augenblick vor dem Sänger eine Kellnerin mit vollem Tablett vorbeigelaufen
wäre? Oder ein depperter Veranstalter zu Beginn eine kalorienarme, längere
Ansprache gehalten hätte?
Nun
gibt es sicher etliche Gründe, mich nicht mit Paul Potts zu vergleichen. Dennoch: Was bei solchen Gelegenheiten mein
Umfeld schon getan hat, um mir das Intro
zu ruinieren, ist ein weites Feld: Da schafften es dann „Tontechniker“, die
Begleitmusik nach 15 Sekunden abstürzen zu lassen oder versehentlich auf „Radio“
zu drücken, um die neuesten Verkehrsmeldungen von „Bayern 5“ einzublenden, ein
zu spät kommender Gast warf mir fast den Zaubertisch plus den darauf stehenden
Requisiten um, jemand riss im falschen Moment den Stecker aus der Dose – oder der
Gastgeber unterbrach mich nochmal, weil er etwas „Wichtiges“ anzusagen vergessen
habe…
Ich
gestehe, in solchen Augenblicken dem Kriminalisten Josef Wilfling recht zu geben, wenn er meint: „Jeder kann zum Mörder werden.“
Doch
meist bahnt sich Ruinöses bereits
länger vorher an: Da hilft es nichts, mit dem Organisator vorher die Räumlichkeiten zu besichtigen und genau
abzusprechen, wo man parken oder sein Material vorbereiten kann, wo
genau man beim Auftritt steht, wieviel
Platz man dort hat, wo man die Tonanlage anschließen oder größere Requisiten aufbauen
kann. Nein: „Ach ja, mein Auto wollte ich
noch wegfahren“ oder „Richtig, da
werde ich jetzt gleich den Wirt fragen“ sind Sätze, die einen dann erwarten
und die Botschaft vermitteln: Es ist
längst zu spät. Nun hat der Gastronom schon sein Büffet dort aufgebaut, wo
man eigentlich zaubern wollte, der Vorbereitungsraum ist anderweitig belegt, und
das Kraftfahrzeug parkt die Assistentin dann halt 500 Meter weiter weg.
Bewegung ist ja gesund…
Den
wenigsten Veranstaltern ist klar, dass sie damit auf die Chance, eine wirkliche Spitzenleistung zu erhalten,
von vornherein verzichten. Was der Künstler anschließend mit hängender Zunge,
genervt und mit der Faust in der Tasche abliefert, ist eher mit dem Begriff „trotzdem“ zu umschreiben.
Selbst
wenn man den Organisatoren wegen des etwas komplizierten Ablaufs ihres Events
vorher eine schriftliche Zeitplanung
zusendet, kann man fest davon ausgehen, dieselben Fragen, welche dort bereits
beantwortet sind, jeweils fünf Minuten vorher nochmal mündlich gestellt zu
bekommen. Warum denn auch lesen? Der
Magier oder Moderator ist ja persönlich
anwesend und freut sich sicherlich, in der Hektik der Performance alles
erneut zu erklären. Bindend ist dies
allerdings nicht: Im entscheidenden Moment stellt der dann staunend fest, dass
man vor der Zaubervorstellung doch noch schnell die Geburtstagstorte
anschneiden und „Happy Birthday“ singen wollte…
Aber
auch viele Künstler – und zwar nicht nur im Amateurbereich – konzentrieren sich
fast ausschließlich darauf, was sie
darzubieten beabsichtigen, und ignorieren fast völlig die Rahmenbedingungen. Ein besonders markantes Beispiel ist für mich
der Einsatz von Mikrofonen. Diese
Geräte haben fast alle eines gemeinsam: Sie funktionieren im entscheidenden Moment nicht – für mich die einfachste Methode, ein Intro zu versemmeln,
indem man minutenlang mit den Tücken der
Verstärkung kämpft, welche die mühsam gepflegte Stimme oder den holden Geigenklang
in Comic-Gequäkse verzerren oder halt gar nicht erst umsetzen. Seit vielen Jahren
nehmen wir daher unsere eigene Tonanlage
mit und verlassen uns nicht auf den technischen Trash, den man üblicherweise
vor Ort gestellt bekommt.
Und,
liebe Musiker, ihr mögt wunderbar spielen oder singen können, aber glaubt mir
bitte: Reden könnt ihr meist nicht!
Und selbst wenn: Es lenkt euch von der anderen Arbeit ab. Daher meine herzliche
Bitte, falls ihr den Zuhörern mehr als ein Programmheft bieten wollt: Engagiert
einen guten Moderator anstatt zu
vermuten, es werde euch zu den einzelnen Stücken schon spontan ein
Ankündigungstext einfallen. Seid versichert: Genauso klingt es dann auch! Ein versierter Ansager hingegen legt
euch das Publikum schon ab der ersten Minute zu Füßen und rollt für euch einen roten Teppich aus – seine Gage lohnt sich.
Erst
neulich erlebte ich es, dass ein Pianist meinte, ein wirklich sehr schönes
Konzert moderieren zu sollen. An einen „Soundcheck“
hatte man dabei aber wohl nicht gedacht, so dass ich wegen seiner leisen Stimme
(zusätzlich mit einem auswärtigen Akzent) nur die Hälfte verstand. Und dann machte
er die Pausenansage zu früh, und man
musste die bereits hinausströmenden Gäste wieder zurück in den Saal scheuchen,
weil man sage und schreibe drei Stücke
vergessen hatte. In solchen Fällen gewinnt der Begriff „Fremdschämen“ für mich
eine konkrete Bedeutung.
Da
ich öfters Musikveranstaltungen
moderieren darf, weiß ich: Solche Events benötigen eine Regie, die sich um das Drumherum kümmert, welches die Musiker
chronisch unterschätzen: Wie ist das mit dem Licht? Wo platziert man die
Notenständer und anderes Material? Wer kommt von welcher Seite und warum? Passt
die Programmfolge oder ist sie (meist) zu lang?
Für
ein 100 Minuten-Programm sitze ich normalerweise einige Tage am Schreibtisch
und weiß daher: Was „leicht“ wirken soll, benötigt eine Menge höchst nüchterner, akribischer und todernster Arbeit.
Man
sehe sich einmal Fernsehshows wie „Let’s
dance“ an! Man kann die Machart der Darbietung mit ihrer Wortlastigkeit, dem
hysterischen Getue und Gekreische, den künstlich arrangierten Emotionen mögen
oder hassen – nur: Schon einmal überlegt, wieviel Arbeit in den je einminütigen Tanzdarbietungen
steckt – nicht nur Training und Choreografie, sondern in Punkto Maske, Kostüm,
Bühnenbild, Beleuchtung, Spezialeffekte und Musik? Wie froh wäre ich, einen
eigenen Auftritt einmal derartig unterstützt zu bekommen!
Daher,
liebe Veranstalter, auch wenn ihr nur die Geburtstagsfeier für den Opa plant
oder ein kleines Konzert in der Volkshochschule: Die engagierten Künstler
könnten so viel erreichen, wenn euch klar wäre, wie wichtig die professionelle, genaueste Planung einer
Performance ist. Mit „das werden wir dann
schon sehen“ erreicht ihr genau diesen Eindruck beim Publikum: eben ein
schlecht vorbereiteter, dilettantisch hingewurstelter Murks. Das Gegenteil von „gut“ ist bekanntlich „gut gemeint“…
Daher
fragt im Vorfeld den Protagonisten gerne Löcher in den Bauch – wenn diese ihre
Kunst ernst nehmen, werden sie sich
gerne damit beschäftigen und euch ein exaktes
Konzept liefern. Falls nicht, habt ihr euch für die Falschen entschieden.
Und
wenn dann der Moment gekommen ist:
Lasst die Künstler machen und
haltet die Klappe!
P.S.
Zwei ähnliche Artikel habe ich – natürlich völlig folgenlos – bereits veröffentlicht:
https://diemagiedesgr.blogspot.com/2015/07/was-brauchen-sie-jetzt-alles.html
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