„Wir
brauchen unsere Kinder nicht erziehen, sie machen uns sowieso alles nach.“
(Karl
Valentin)
Der tragische Irrtum:
„Es ist ja nur für die Kleinen“
Oft
genug hört man als Zauberkünstler diesen Satz von den entsprechenden
Gastgeberinnen (ob es nun Kindergärtnerinnen
sind oder Mütter, welche die Geburtstagsfeier ihres Sprösslings planen – Väter dagegen
rufen kaum jemals an).
Spätestens
kommt er beim Thema Gage und soll
bedeuten: „Da Sie sich ja nicht besonders anstrengen müssen, darf es
auch weniger kosten.“ Großes Erstaunen erzeugt
dann stets meine Feststellung, dass ich – ausgehend von der Arbeitsleistung –
eigentlich mehr verlangen sollte als
bei Erwachsenen.
Es
gibt eine beträchtliche Anzahl von erfahrenen, sogar berühmten Kollegen, die sich strikt weigern, vor Kindern
aufzutreten. Und womit tun sie das? Mit Recht! Es gibt (ausgenommen vielleicht besoffene
Rocker) kein schwierigeres Publikum!
Ich
möchte hier nicht das große Lamento
anstimmen über die „heutigen Kinder“, bei denen (mit
welcher Verlässlichkeit auch immer) Verhaltensstörungen wie
ADHS diagnostiziert werden und die angeblich nur noch mit einer kräftigen Dosis
Psychopharmaka davon abgehalten werden können, über Tische und Bänke zu gehen.
Aus meiner 35-jährigen Tätigkeit als Gymnasiallehrer
weiß ich, dass dies ein Klischee ist
– allerdings ebenso wie die Einstellung, man dürfe die „armen Kleinen“ nicht
mit „überkommenen“ Benimmregeln in
der Erlangung ihrer Selbstständigkeit behindern.
Sicher
ist allerdings: Bei einem erwachsenen
Publikum ist die Bandbreite des
Verhaltens eher klein – sicherlich
gibt es tolle Zuschauer und auch solche, welche von Natur und/oder Alkoholpegel
her sicherlich nicht dem Wunschtraum von Magiern entsprechen.
Dennoch
können Sie sich fast immer darauf verlassen, dass Sie – selbst wenn es nicht so
gut läuft – zumindest Höflichkeitsapplaus
erhalten und Zwischenrufe wie
„Ej Mann, das kenn’ ich schon“ oder ein plötzlicher Heulanfall mit 110 Dezibel kaum vorkommen. Ebenso müssen Sie nicht
fürchten, dass volljährige Gäste immer näher
rücken, bis sie schon fast mit der Nase an Ihrem Zaubertisch kleben oder
gar unter diesem herumkriechen. Oder bei einer Gartenparty ein vorbeiflitzendes
Eichhörnchen Ihre tolle Routine im Bewusstsein absolut auslöscht. Oder ein Zuschauer plötzlich aufsteht und Ihnen
eine Geschichte erzählen will, die
mit Ihrem Programm genau nichts zu tun hat. Oder…
Bei
Kindern habe ich so ziemlich jedes Extrem
schon erlebt:
Da
gibt es Auftritte, nach denen ich eigentlich gar nicht wegfahren möchte, weil meine
kleinen Zuschauer derartig toll mitgegangen sind. Und wenn dann an der Autotür
noch eine kleine Prinzessin mit riesigen Kulleraugen versichert „Das war so
schön, Herr Zauberer“, möchte man fast die Gage wieder zurückgeben…
Auf
der anderen Seite gibt es Kinderfeste,
welche praktisch nur aus Gebrüll und völlig
überdrehten Kids bestehen, die vor allem Süßigkeiten in sich reinstopfen, Egozentrik pur bei null Konzentrationsfähigkeit und Empathie sowie einem höchstens zweistelligen
IQ – Kürzung des Programms bei Rettung
der Gage und Evakuierung der Requisiten vor den heranstürmenden Kleinen in
letzter Sekunde bei vollem Körpereinsatz.
Natürlich
ist mir inzwischen klar, dass ich gerade in meiner Anfangszeit nicht selten
durch elementare eigene Fehler in
solche Situationen geraten bin. Dennoch stimmt der eingangs zitierten Satz von Valentin: Die lieben Kleinen können
nichts dafür, wenn ihre Eltern eklatante Mängel
im Sozialverhalten aufweisen. Und unfähig sind, ihren Kindern etwas abzuverlangen. Bei manchen
Auftritten hatte ich das Gefühl, der erste
Mensch zu sein, der bei den Kindern in dieser Richtung agierte.
Wer‘s
nicht glaubt, sollte einmal über eine Erfahrung
von mir nachdenken: Private Kinderfeste verliefen stets harmonischer, wenn beide
Eltern anwesend waren und sich um die kleinen Gäste kümmerten. Häufig aber
waren die Väter absent – aus welchem Grund auch immer. (In einem Fall entdeckte
ich den männlichen Erzeuger nach dem Auftritt unter einer Decke schlafend auf
der Couch!)
Ich
erlebte also genügend Horrorszenarien,
bei denen mir bis heute kein Gegenmittel einfällt – außer das Engagement nicht
anzunehmen, wenn sich im Vorfeld gewisse „Warnzeichen“
zeigen (davon später). Bedenken Sie daher:
Bei
Auftritten vor Kindern kann vom größten
Triumph bis zur krachenden
Niederlage alles passieren –
und manches davon haben Sie nicht in der Hand. Sollte Ihnen dieses Risiko zu hoch sein, zaubern Sie lieber
nur vor Erwachsenen!
Persönlich
habe ich es immer als spannend empfunden, mich auf ein solches Spiel
einzulassen und herauszufinden, wie ich es im Sinne der Zauberkunst
beeinflussen kann – ein gutes Drittel
meiner Auftritte (also über 300) fand in diesem Metier statt.
Weiterhin
ist es kaum vermeidbar, öfters vor gemischtem
Publikum aufzutreten; gerade bei Familienfesten oder „Tagen der offenen
Tür“ mit einem beträchtlichen Anteil
junger Gäste. Hierbei benötigen Sie ebenfalls gewisse Kenntnisse über diese sehr
spezielle Art von Publikum.
In
welcher Hinsicht weichen Auftritte vor
Kindern von solchen bei Erwachsenen ab?
·
Die
einzelnen Altersgruppen reagieren
sehr unterschiedlich; die Vorstellung muss genau hierauf abgestimmt sein. Daher stellen sich die größten Probleme, wenn Sie
eine Melange von Drei- bis Vierzehnjährigen vor sich haben!
·
Das
Verhalten der Kinder hängt extrem von den äußeren
Bedingungen ab: der Art des Festes, dem sonstigen Programm, den sozialen Beziehungen
untereinander und zu den anwesenden Erwachsenen, den Sicht- und
Platzverhältnissen, Verfügbarkeit von Essen und Getränken, diversen Störquellen
von außen usw.
·
Kinder
denken sehr direkt und sind stark
von der Optik beeinflussbar. Längere
Texte, welche vom Zaubergeheimnis ablenken sollen, wirkt vor allem bei sehr
jungen Zuschauern wenig. Ihr Denken
verläuft noch nicht in mehreren Spuren:
Die schönste Geschichte kann sie nicht davon abbringen, Ihnen genauestens auf
die Finger zu sehen!
·
Auch
unter Kollegen herrscht oft die Meinung, man müsse sich vom technischen Hintergrund her bei Kindern
wenig Mühe geben – die könne man
leicht täuschen. Nach meiner Erfahrung ist das Gegenteil richtig. Wenn Sie mit einem Manöver bei Erwachsenen durchkommen, kann es durchaus
sein, dass die lieben Kleinen Ihnen die (richtige) Erklärung zurufen!
Das liegt an der einfachen Denkweise junger
Zuschauer: „Wenn’s nicht mehr in der linken Hand ist, kann’s ja nur in der
rechten sein!“ – Erwachsene würden eher meinen: „So simpel ist es
sicher nicht!“
·
Bei
kleinen Zuschauern ist die Schwelle, direkt ins Geschehen einzugreifen, äußerst niedrig: Eine Unachtsamkeit Ihrerseits (z.B. das „Blitzen“
eines palmierten Gegenstands) werden Ältere meist höflicherweise übersehen –
bei Kindern kriegen Sie unverzüglich einen entlarvenden Zwischenruf: „Du
hast es ja nur in der Hand versteckt!“
·
Kinder
wollen sich beteiligen, also wählen
Sie mehr Effekte mit direktem Zuschauereinsatz! Die Gefahr ist jedoch groß,
dass die kleinen Akteure Ihnen dabei die Inszenierung
aus der Hand nehmen. Die kluge Steuerung
des „Mitmachens“ ist eine der größten Herausforderungen in diesem Bereich!
·
Anspielungen,
Ironie oder gar „Killerphrasen“ wirken
bei Jüngeren überhaupt nicht. Allenfalls kommt die Botschaft an, dass der
„Zauberer sie nicht mag“ – und dies
ist noch weniger empfehlenswert als bei volljährigen Zuschauern!
·
Auch
Aufsitzer-Routinen funktionieren, je nach
Alter, entweder gar nicht oder können zu einer feindseligen Stimmung führen, da
sich die Kinder nicht ernst genommen oder gar veralbert fühlen. Hier ist höchste Sensibilität gefragt!
·
Negative
Veränderungen
(z.B. Konzentrationsabfall, Desinteresse, Ablenkung durch Störungen) stellen
sich bei Kindern sehr rasch ein. Dem müssen Sie mit erhöhter Flexibilität begegnen (z.B. Abkürzung einer Routine oder
des ganzen Programms, Ausweichen auf alternative Effekte).
·
Die
schauspielerische Gestaltung ist in
diesem Bereich noch wichtiger als sonst; übertreiben
Sie, wo es nur geht – vor diesem Publikum dürfen Sie deutlich exzentrischer agieren als gewöhnlich. Nicht
so sehr das Unerklärliche fasziniert
kleine Zuschauer (eher verwirrt es sie oft), sondern der Weg dorthin, der möglichst spannend und komisch gestaltet werden
sollte.
·
Und
schließlich: Kinder applaudieren von
sich aus kaum – warten Sie also nicht darauf! Bestenfalls ahmen sie das
Händeklatschen älterer Gäste nach; es bleibt jedoch mehr ein Ritual denn eine
echte Anerkennung.
O
je, wie soll man das alles hinkriegen? Ich werde in der nächsten Zeit auf
diesem Blog einige Ideen und Tipps
dazu veröffentlichen.
Für
heute wollte ich Ihnen jedoch klarmachen: In keiner anderen Sparte der Magie liegt
die Messlatte für den Künstler derartig hoch. In seinem hervorragenden Buch „Seriously silly“ findet
der amerikanische Kinderzauberer David
Kaye hierzu ein schönes Bild:
„Wenn
ein Popsänger, unterstützt von Dutzenden Helfern und einem großen Bühnenaufbau,
seinen Auftritt beginnt, erwarten die Besucher, dass er singen kann. Wenn sich
der Vorhang zu einer Musicalaufführung mit über hundert Mitwirkenden hebt, erwarten
die Zuschauer, dass die Darsteller singen, tanzen und schauspielern können.
Wenn
Sie als Kinderzauberer Ihre vier Koffer in den 6. Stock wuchten, wo die
siebenjährige Susi ihren Geburtstag feiert, erwartet Ihr Publikum, dass Sie alles
können!“
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