Donnerstag, 2. Juli 2020

Kinderzauberei – die verschiedenen Altersstufen


Bei Anfragen bekommt man gelegentlich den Eindruck, manche Eltern würden gerne schon für ihren sechsmonatigen Säugling eine Kindervorstellung buchen.

Tatsächlich aber liegt für mich die Altersgrenze bei mindestens vier Jahren: Erst dann beginnen sich Fantasie und Realität so weit zu trennen, dass etwas Unwirkliches wie Zauberei überhaupt vom „Normalen“ unterschieden werden kann.

Auch bei Vierjährigen kommt es sehr darauf an, ob diese via Kindergarten schon an größere soziale Gruppen gewöhnt sind (das Publikum eines Magiers ist nämlich eine solche). Erst dann besteht die Hoffnung, dass Kinder in diesem Alter bereits die nötige Konzentration und Frustrationstoleranz aufbringen, um für 30 Minuten einen Zauberauftritt zu verfolgen und nicht lange vorher schon anderen Impulsen nachzugeben. Oft genug sind die Eltern sehr optimistisch:

„Mein Kind versteht das schon.“
Nein – tut es nicht!
Andruck
Tatsächlich ist es sogar noch schlimmer: Befinden sich einzelne jüngere Kleinkinder im Publikum, werden sie sich mit einer Wahrscheinlichkeit von über 50 Prozent bald lautstark bemerkbar machen – mit Quengeln, Heulen und Gezeter. Ich habe das oft genug erlebt. Den genauen Mechanismus kann ich nur vermuten. Wahrscheinlich liegt es am gefühlten Stimmungsumschwung, der sie beunruhigt: Musik, Stille, Lachen, Klatschen, an der mangelnden Zuwendung ihrer Bezugsperson, die ja die Show verfolgen will – und natürlich daran, dass die Kleinen Sinn und Zweck der Veranstaltung überhaupt nicht erfassen.

Besonders problematisch wird es, wenn sich die Vorstellung eigentlich an Erwachsene richtet, jedoch auch sehr kleine Kinder (oft in Ermangelung eines Babysitters) anwesend sind.

Meiner Assistentin fallen entsprechende „Problemfälle“ schon vor Programmbeginn auf; sie bittet dann die Begleiter, im Falle des Falles mit ihrem Kind nach draußen zu gehen. Oft stößt ihre Voraussicht auf Unglauben (siehe oben) – bis dann das fast Zwangsläufige eintritt. Manche Erziehungsberechtigte wollen jedoch selbst in dieser Situation nicht einsehen, dass man ihnen zumuten muss, auf die Vorstellung zu verzichten, anstatt allen anderen den Spaß zu verderben.

Da bleiben wir jedoch hart: Meine Darbietung steht und fällt damit, dass ich die Aufmerksamkeit des Publikums habe und nicht ein plärrender Zweijähriger. Im Notfall lege ich kommentarlos eine Pause ein und mache hinter den Kulissen dem Gastgeber die Alternative klar:

Der oder ich!

Kindergartenbesucher (bis zu zirka 6 Jahren) bilden das typische „Vorschulpublikum“, für das man häufig engagiert wird.

Halten Sie die Effekte kurz und Ihre Sprache einfach (z.B. „ist weg“ statt „ist verschwunden“). Eine interessante Optik ist hier viel wichtiger als geschliffene Texte! Für die Kinder sind Gegenstände, zumal, wenn mit ihnen Magisches geschieht, lebendige Wesen – personifizieren bzw. animieren Sie diese (z.B. durch Namen, Bewegungen etc.). Und lassen Sie, vor allem nach den Effekten, genügend Pausen – Ihre kleinen Zuschauer brauchen Zeit, um das Gesehene zu verarbeiten!

In jenem Alter ist Zauberei stets „echt“, also verzichten Sie auf das (sowieso unsinnige) Bekenntnis, Sie würden lediglich „Tricks“ vorführen. Deshalb sind auch Aufsitzer sinnlos – die Kleinen suchen eh nicht nach einer Erklärung (da können Sie die Hasen noch so lange „heimlich“ drehen…). Und geben Sie sich besonders freundlich und Vertrauen erweckend: Sie sind gefühlte zehn Mal größer und treiben unerklärliche Dinge – öfters habe ich bei einem solchen Publikum Angstreaktionen erlebt. Seien Sie ein „netter Zauberer“, und auch die Utensilien, welchen Sie Leben einhauchen, sind nicht wirklich gefährlich, höchstens ein bisschen frech…

Zeitlich sollten Sie sich darauf einrichten, nach zirka 30 Minuten aufzuhören – wenn da noch ein Rest Konzentrationsvermögen übrig ist, können Sie ja eine letzte Nummer dranhängen.

Grundschulkinder (ca. 6 bis 10 Jahre):

Dauer und Sozialstruktur einer Unterrichtsstunde haben sich bei ihnen bereits gefestigt, so dass Sie von maximal 45 Minuten ausgehend können – ebenso sind Ihre Zuschauer darauf konditioniert, dass sie einer „Autoritätsperson“ für diese Zeit (mehr oder weniger) Aufmerksamkeit schenken. Andererseits sind sie aber durch die Schule daran gewöhnt, Vorgänge erklären zu sollen – kein Wunder, dass sie dies auch auf die gesehenen Effekte anwenden. In diesem Alter beginnen die einschlägigen Zwischenrufe vom Typ „Ich weiß, wie das geht“. Fassen Sie das nicht als Angriff, sondern als Zeichen des Lernwillens auf!

Aufsitzer zeigen daher ihre Wirkung, allerdings oft nicht im gewünschten Sinne, sondern als Beginn langwieriger Diskussionen, bei denen Ihnen die Zügel entgleiten könnten. Bedenken Sie: Da sind Ihre kleinen Zuschauer stolz darauf, etwas zu durchschauen – und dann werden sie von Ihnen als Deppen hingestellt! Beliebter werden Sie dadurch nicht…

Vorsicht ist weiterhin angebracht bei zu „kindertümlichen“ Präsentationen (Requisiten mit Comicfiguren, „Eiapopeia-Texte“), die schnell als „Babykram“ abgetan werden. Die Geschichten zu den Zauberkunststücken dürfen schon länger sein – je skurriler und verrückter, desto besser!

Im Alter von über 10 Jahren sollte Ihrem Programm auf den ersten Blick nicht mehr anzumerken sein, dass es „für Kinder“ gedacht ist – Ihre Zuschauer fühlen sich sonst schnell unterfordert bis veralbert! Vermeiden Sie reine Erwachsenenthemen (wie Partnerschaft, Ehe oder Schlimmeres), ebenso wie zu komplizierte Routinen, Rechenoperationen, das Merken von Kartenwerten u.ä. Ironie und Anspielungen können bereits wirken, wenn man es nicht übertreibt. Die Dauer einer Schulstunde ist jedoch weiterhin die Obergrenze.
Andruck
In der Pubertätsphase steht die Zauberei in den Charts ganz weit unten, so dass Sie ein entsprechendes Publikum eher selten vorfinden werden. Dieser Entwicklungsprozess ist ja dadurch gekennzeichnet, dass ein Bruch mit der Kindheit stattfindet. Da erlebt man hormonbedingt genügend Verwirrendes und Unerklärliches – Zauberer sind dabei absolut unnötig!

Sollten Sie (vielleicht bei einem Schulfest) mit „Pubertätern“ zu tun haben, geben Sie sich betont lässig, ohne in „Jugendsprache“ zu verfallen – nichts ist in dem Alter peinlicher als ein Erwachsener, der den Gleichaltrigen markiert…

Vermeiden allzu „typisches“ Equipment wie Zylinder, Zauberstab, Hasen, Glitzerkisten und „magisches“ Getue (auch sonst keine schlechte Idee…). Vielleicht gelingt Ihnen selber etwas ironische Distanz dazu – das wäre ganz im Sinne Ihrer Zuschauer!

Auftritte vor altersmäßig gemischtem Publikum stellen die größte Herausforderung dar. Hierzu gehören vor allem Festivitäten in Bildungseinrichtungen, zu deren Kundschaft ja meist verschiedene Altersstufen zählen. Ich tue im Vorfeld mein Möglichstes, die Veranstalter von getrennten Vorstellungen, z.B. für „Größere und Kleinere“ (mit entsprechender Altersbegrenzung) zu überzeugen. Wenn daraus nichts wird, müssen Sie Ihr Programm stets auf die jüngsten Zuschauer abstellen: Falls Sie nämlich die nicht erreichen oder bald verlieren, kommt es zu maximaler Unruhe! Der zu erwartende „Kollateralschaden“ besteht darin, dass sich Ältere (inklusive die ratschenden Mütter oder Lehrer im Hintergrund) unterfordert bzw. gar nicht angesprochen fühlen und so für Störungen und vor allem Ablenkung der Jüngeren sorgen.

Ich habe sehr gute Erfahrungen damit gemacht, bei Kinderauftritten stets mit einer Metaebene zu arbeiten, welche in diesem Fall besonders nützlich ist: Vordergründig zaubere ich für das junge Publikum, die Effekte müssen allerdings auch für Erwachsene interessant und undurchschaubar sein. Die Einstellung „Hauptsache, die Kinder kapieren es nicht“ ist sowieso oft unrealistisch, und zudem verlieren Sie die Aufmerksamkeit älterer Betrachter! Weiterhin gehört zu diesem Konzept, immer wieder Textbausteine, vielleicht auch kleine Zwischenspiele einzubauen, welche sich – über die Köpfe der Kleinen hinweg – direkt an die restlichen Zuschauer richten. Sie zeigen sozusagen parallel zwei Routinen und erreichen somit das gesamte Auditorium.

Nach vielen Jahren Zauberei ahnt man meist schon vorher (und spätestens beim Eintreffen am Ort des Geschehens), ob es krisenhaft werden dürfte. Meist höre ich dann die leise Frage meiner Assistentin: „Hier ist wohl eine Ansprache fällig?“ Kurz vor meinem Auftritt erkundigt sich Karin bei den versammelten Zuschauern, wer von ihnen schon einmal in einer Theatervorstellung war und wie man sich da benehmen solle. Ob es angebracht sei, über Stühle zu klettern, herumzuschreien oder den Sitznachbarn zu ärgern?

Letztlich ist der genaue Inhalt der Belehrung gar nicht so entscheidend, sondern die Botschaft: Nicht nur der Vorführende, sondern auch das Publikum hat bestimmte
Pflichten, die es zu erfüllen gilt. Damit wird eine wichtige Grundlage geschaffen, deren Wirkung ich normalerweise die ganze Vorstellung über spüre!

Fazit:

Bei Kindervorstellungen ist es entscheidend, zuvor die Altersstruktur des Publikums zu kennen und sein Programm darauf abzustellen. Bei Erwachsenen ist dies weniger kompliziert. 20- bis 30-Jährige Zuschauer haben Sie nur, falls die bei einer Familienfeier zur Anwesenheit verpflichtet sind. Aber auch dann ist deren Interesse begrenzt: In dem Alter ist man mit seiner Berufsausbildung beschäftigt – und später damit, den Falschen zu heiraten, Kinder zu kriegen und sich scheiden zu lassen.  

Der nächste magische Kontakt erfolgt erst, wenn man selber einen Kindergeburtstag zu organisieren hat. Im letzten Lebensdrittel rücken Beruf und Erfolgsdruck in den Hintergrund, und man entwickelt man wieder mehr Freude an Illusionen. Senioren schließlich sind das dankbarste Publikum – schon, weil die sich freuen, wenn sich überhaupt wer um sie kümmert…


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