Freitag, 20. November 2020

Meine schönsten Zaubererlebnisse I

 

Hochverehrtes Publikum,

vor fast 8 Jahren begann ich mit dem Notieren von Anekdoten, Bonmots sowie lustigen und tragischen Geschichten aus meiner nun fast 35-jährigen Zauberkarriere – auf dass diese nicht dem Vergessen anheimfielen - damals sechs Seiten. Doch damit nicht genug!

Jahr für Jahr kamen weitere „Nachträge“ dazu, insgesamt neun. Nicht verändern möchte ich aber die Grundstruktur, immer mal wieder – ohne großes System – neue Geschichten zu erzählen. Es soll wie im (Zauberer-)Leben sein: Alles passiert durcheinander! 

Ich habe mich nun entschlossen, die Schilderungen in Fortsetzungen auf meinem Blog zu veröffentlichen: Für die lieben Kollegen zum Trost, dass nicht nur ihnen so etwas passiert – und den Laien als Information, dass wir unsere Gage oft wirklich sauer genug verdienen müssen.   

Meine Zaubergeschichten sind allesamt authentisch, wenngleich so weit wie möglich anonymisiert – auf jeden Fall war speziell der Auftritt bei Ihnen völlig problemlos und außergewöhnlich erfolgreich, so dass Ähnlichkeiten mit den folgenden Ereignissen rein zufällig wären… und außerdem war das alles für mich ein pures Vergnügen, zumindest, wenn man so manche Katastrophe nach Jahren noch einmal Revue passieren lässt!

Alsdann, es geht los – und viel Vergnügen!

 

Wie bekommt man ein Engagement?

Fast immer per Telefon, da der Kunde von heute nicht gerne schreibt (und wenn, dann kurze E-Mails). Zu 90 Prozent rufen Frauen an – offenbar ist es Männern peinlich, ihr Bedürfnis nach solchem Hokuspokus zu äußern. Beginnt der Anruf mit den Fragen, „wie lang so was dauert und was des kost’“, ist es zu 99 Prozent eine Mutter, die einen Kindergeburtstag organisieren muss (siehe: „Theorie und Praxis der Emanzipation“).

Meist sind ja auch nur die Mütter (evtl. mit der Oma oder besten Freundin) beim Event anwesend. Machen (in höchstens einem Zehntel der Fälle) auch die Väter mit, wirken die Kinder durchwegs besser (da zu zweit) erzogen!

  • Bei einem besonders nervigen Auftritt wunderte ich mich schon beim Reingehen über die besonders unaufgeräumte Wohnung, z.B. das Sofa mit den vielen zerknüllten Decken. Nach der Vorstellung begann sich dieser Stapel zu regen: Darunter schlief seelenruhig der „Hausherr“, trotz Schallpegelspitzen bis zu 110 dB (A)!
  • Gefährlich klang die telefonische Anfrage eines älteren Herrn: Ob ich ihm gegen seine Schwester helfen könne, welche nachweislich den bösen Blick habe? Seither vermeide ich in meinen Annoncen den Begriff „Magier“! Öfters passiert es nach Mentaleffekten (Gedankenlesen, Zukunftsvorhersage), dass ein(e) Zuschauer(in) mit leuchtenden Augen fragt, ob ich nicht vielleicht doch den „7.Sinn“ habe. Wenn ich dann versichere, dass es sich bei der „weißen Magie“ um reine Täuschungen handelt, ist mein Abstieg in der Rangordnung mit Händen zu greifen!
  • Manchmal kriegt man die versprochene „Mugge“ dann doch nicht. Ein besonders originelles Beispiel: An einem Samstagvormittag rief eine junge Dame an. Ob sie nicht heute Abend eine Vorstellung zu ihrem Geburtstag haben könne? Da ich nichts vorhatte und der Auftrittsort in der Nähe war, ließ ich mich ausnahmsweise darauf ein. Nach dem Gespräch telefonierte ich noch mal zurück, da ich eine wichtige Einzelheit vergessen hatte, aber die Nummer stimmte nicht! Im Telefonbuch fand ich die richtige, aber die Inhaber dieses Namens waren sehr überrascht von der nahenden Zaubervorstellung zum 16. Geburtstag ihrer Tochter – offenbar hatte eine „Freundin“, die nicht eingeladen war, sich mit dieser fingierten Buchung revanchiert!
  • Ständige Bitten um rechtzeitige Terminreservierungen bewahren einen nicht vor spontanen Anfragen. Spitzenreiter: Ein Anruf nach 20 Uhr aus 40 km Entfernung: Man säße gerade so lustig beisammen, ob ich nicht zaubern kommen wolle? Nein, lieber nicht…

 

Geburtstage für Kinder jeden Alters

Generell sieht man schon bei der Anfahrt, was auf einen zukommt: Das Haus weist den traditionellen Wiegenfest-Ballonschmuck auf. Stressigere Auftritte sind zu erwarten, wenn im Eingangsbereich die Fahrräder kreuz und quer durcheinander liegen. Öffnet beim Klingeln die Mutter (und nicht ein an der Klinke hängender Nasenbohrer), sind die Machtverhältnisse noch einigermaßen stabil. Auf das Gegenteil weist ein Stapel von Kleidungsstücken und Schuhen im Flur hin, über die man samt Requisiten kraxeln muss. Tritt man dabei auch noch auf Kekse, steht die Katastrophe bevor...

  • Einmal zauberten wir bei einer Bauernfamilie. Auf dem riesigen Innenhof waren wir im Nu von der finster dreinblickenden Landjugend (um die 8 Jahre) eingekreist, die lauthals zu wissen begehrte, was wir eigentlich hier wollten – von den Erwachsenen keine Spur! Umso mehr aber von einem riesigen Hofhund, der uns verachtungsvoll den Vorderreifen vollpinkelte…
  • Ausnahmen bestätigen die Regel: Einmal war der Vater anwesend, der allerdings total unter dem Pantoffel seiner mega-zickigen Tochter stand. Wegen des Generves der Siebenjährigen („kenn ich schon / weiß, wie’s geht / mich nimmst Du nie dran“) kürzte ich (zu ihrem Verdruss) das Programm auf die gagenrettende Mindestlänge und endete mit dem Erscheinen von „Schnee“ (weiße Konfetti). Nach Vorstellungsende packte die Göre die „Hausfrauen-Nummer“ aus: Solange ich den „Dreck“ nicht wegmache, käme ich hier nicht raus! Nach meinem Kommentar hierzu („es gibt eben Künstler und Bühnenarbeiter“) hatte ich zwei neue Todfeinde, in deren Stereo-Blickehagel ich knapp entkam…
  • Ein ähnliches Problemkind männlichen Geschlechts tobte bereits vor Programmbeginn: Erst wollte er nicht rein, dann wieder raus, schließlich doch nicht, da er mit seinem Gebrüll und Geheul zum Mittelpunkt der Darbietung wurde. Seine sechzehnjährige Schwester bemerkte düster, sie mache gerade ein Praktikum im Kindergarten und vermisse daher entsprechende pädagogische Kenntnisse bei mir. Da sich die feindselige Haltung innerfamiliär ausbreitete, lieh ich mir gegen (baldiges) Auftrittsende für einen Zaubereffekt einen Hundertmarkschein, den ich nicht mehr herausrückte. Beim Einpacken wurde ich von den Gastgebern scharf beobachtet, ob ich nicht noch was mitgehen ließe…
  • Ein besonders eloquenter, da im Rheinland beheimateter Herr nervte uns drei lange Telefonate mit dem Geburtstag seines Vaters, den er (schon aus Erbschaftsgründen) organisieren müsse. Zu diesem Zwecke werde ein Dampfer gemietet, mit allerlei Prominenz (mit der er auf Du und Du stehe) bestückt und ein dreitägiges rauschendes Fest gefeiert, bei dem wir (vor allem meine Frau Karin) flächendeckend zur Verfügung stehen sollten. Kleinliche Zeitbedenken meinerseits galten nicht: Kein Problem, er lasse mich dann eben mit dem Hubschrauber einfliegen! Nach Zusendung des Vertrags hörte ich dann nie wieder von ihm – war der Hubschrauber abgestürzt oder der Dampfer im Rhein versunken?
  • Ein ebenfalls sehr gut gelaunter Herr schilderte mir eine tolle Gartenparty, wo ich für die Kinder zaubern sollte. „Wissen Sie, wir Erwachsenen können uns ja die Birne zuknallen, aber für die Kleinen soll halt auch was los sein!“ Die Aussicht auf eine Melange von Alkohol und Gedöns ließ mich die Gage in eine Höhe schrauben, in der mir eine Absage gewiss war!
  • Grenzenlos ist der Optimismus, ab welchem Alter die Kinder einem magischen Programm mit der nötigen Konzentration folgen können – bisheriger Rekord bei mir waren vier Dreijährige („mein Kind versteht das schon“), für die man extra einen Zauberkünstler kommen lassen wollte. Derzeit harre ich noch des Engagements in einer Entbindungsstation!
  • Sehr hell war eine Stimme am Telefon: Ob ich für „zehn Mädels“ auftreten wolle? Ich fragte nach dem Alter der „Kinder“: So um die Dreißig – ein Junggesellinnenabschied! Man wolle etwas Zauberhaftes, bevor man „um die Häuser ziehe“. Das ließ ich mir nicht entgehen: In einem Dachgarten, im Hintergrund das herrliche Panorama der Großstadt, waren die ziemlich aufgerüschten „Mädels“ die eigentliche Attraktion!
  • Kleinkinder können einen auf unterschiedlichste Weise „versenken“. In meiner Anfangszeit musste ich auf einer Riesenplattform auftreten. Da ich allein war und zahlreiche Kids über die Bühne wuselten, wagte ich es nicht, schon alle Requisiten vorführfertig aufzubauen. Am Hinterrand stand als einzige „Deko“ ein riesiger Wassereimer mit mehreren jungen Birken (lichte Höhe ca. 4 m). Prompt wurde ich zu früh angesagt, raste zwecks finaler Präparation über die Bühne und streifte dabei einen Birkenzweig, worauf sich das Arrangement neigte und ich dem anschließenden Tsunami nur knapp entkam: Szenenapplaus schon vor Auftrittsbeginn!

 

Besondere Vorkommnisse

  • Gefahren drohen mitunter auch kinderlos: In einem höchst rustikal-verwinkelten Feinstschmeckerlokal wollte der Schlussapplaus kaum enden. Ich verbeugte mich rückwärts gehend immer wieder – noch ein Schritt, und ich hing über dem Geländer der sehr abschüssigen Treppe: beinahe ein unheimlich starker Abgang!
  • In Ausnahmefällen nimmt man sehr kurzfristige Buchungen an, beispielsweise bei Erkrankung eines Kollegen. Einmal wurde ein Auftritt für den nächsten Tag geordert, denn die Bauchtänzerin habe Grippe… Als ich diesen Satz bei der Anmoderation brachte, wollte das Vergnügen kaum enden!
  • Wie realistisch diese Gefahr ist, erfuhr ich beim Geburtstag eines vierzigjährigen Bekannten, für den die Gemahlin eine Bauchtänzerin bestellt hatte. Im abendlich illuminierten Garten entwand diese sich einem Geschenkkarton, tanzte anmutig-erotisch und verabschiedete sich mit Kusshänden, dabei in die Garderobe (= Gartengeräte-häuschen) trippelnd, wo ich meines Auftritts harrte. Nach Schließen der Tür war ihr erster Satz: „Arschkalt is’ da draußen!“
  • Auch nicht eleganter war die Reaktion einer jungen Balletteuse, die mit ihren Kolleginnen von einer Kindertanzgruppe vor meinem Auftritt dran war und nachher in der ersten Reihe saß. Als ich eine Schallplatte färbte, bildete sich bei den Damen eine gewisse Hypothese heraus, die ich mit dem Zeigen der gleichfarbigen Rückseite entkräftete. Kommentar der Minielfe im rosa Tutu: „Scheiße!“
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Der Kampf ums Revier: Garderoben- und Auftrittsräume

Wer hätte (trotz mehrfacher Hinweise und Passus im Auftrittsvertrag) daran gedacht, dass Zauberer einen Platz zur ungestörten Vorbereitung sowie Bewahrung der Geheimnisse benötigen (und nicht, wie es immer von Laien genannt wird: „zum Umziehen“ – wobei in den seltensten Fällen wenigstens ein Kleiderhaken existiert)? Garderoben-Spitzenreiter waren bisher

  • eine Scheune mit Traktoren, Sprühgeräten und Giftkanistern
  • ein Stühlelager unter der Bühne mit 1,20 m lichter Höhe (und selbstredend voller Sitzmöbel)
  • ein ungeheizter, mit Gerätschaften voll gestopfter Gartenschuppen  im Winter (Zugang zum Auftrittsort durch den Schnee)
  • das Weinlager eines Nobelrestaurants (Wartezeit 45 Minuten bei konstant 7 °C – ultracool!)
  • der versiffte Umkleideraum in einem Sportheim (auf dem Tisch die schmutzigen Trikots vom letzten Punktspiel) nebst einem Vereinswirt, der meiner Assistentin den Hintern tätschelte
  • diverse Küchen (Zauberer jeweils zwecks Blickschutz unter der Anrichte kniend); einmal die Futtermittelküche eines Zoos zwischen Bergen von Kartoffel- und Möhrenschnitzeln 
  • ein Treppenhaus in einem Geschäftsgebäudekomplex – als hinter uns die Tür zufiel, verschafften uns erst mehrere Handyanrufe nach 15 Minuten die Befreiung
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  • Fortsetzung folgt!  

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