Freitag, 20. November 2020

Meine schönsten Zaubererlebnisse I

 

Hochverehrtes Publikum,

vor fast 8 Jahren begann ich mit dem Notieren von Anekdoten, Bonmots sowie lustigen und tragischen Geschichten aus meiner nun fast 35-jährigen Zauberkarriere – auf dass diese nicht dem Vergessen anheimfielen - damals sechs Seiten. Doch damit nicht genug!

Jahr für Jahr kamen weitere „Nachträge“ dazu, insgesamt neun. Nicht verändern möchte ich aber die Grundstruktur, immer mal wieder – ohne großes System – neue Geschichten zu erzählen. Es soll wie im (Zauberer-)Leben sein: Alles passiert durcheinander! 

Ich habe mich nun entschlossen, die Schilderungen in Fortsetzungen auf meinem Blog zu veröffentlichen: Für die lieben Kollegen zum Trost, dass nicht nur ihnen so etwas passiert – und den Laien als Information, dass wir unsere Gage oft wirklich sauer genug verdienen müssen.   

Meine Zaubergeschichten sind allesamt authentisch, wenngleich so weit wie möglich anonymisiert – auf jeden Fall war speziell der Auftritt bei Ihnen völlig problemlos und außergewöhnlich erfolgreich, so dass Ähnlichkeiten mit den folgenden Ereignissen rein zufällig wären… und außerdem war das alles für mich ein pures Vergnügen, zumindest, wenn man so manche Katastrophe nach Jahren noch einmal Revue passieren lässt!

Alsdann, es geht los – und viel Vergnügen!

 

Wie bekommt man ein Engagement?

Fast immer per Telefon, da der Kunde von heute nicht gerne schreibt (und wenn, dann kurze E-Mails). Zu 90 Prozent rufen Frauen an – offenbar ist es Männern peinlich, ihr Bedürfnis nach solchem Hokuspokus zu äußern. Beginnt der Anruf mit den Fragen, „wie lang so was dauert und was des kost’“, ist es zu 99 Prozent eine Mutter, die einen Kindergeburtstag organisieren muss (siehe: „Theorie und Praxis der Emanzipation“).

Meist sind ja auch nur die Mütter (evtl. mit der Oma oder besten Freundin) beim Event anwesend. Machen (in höchstens einem Zehntel der Fälle) auch die Väter mit, wirken die Kinder durchwegs besser (da zu zweit) erzogen!

  • Bei einem besonders nervigen Auftritt wunderte ich mich schon beim Reingehen über die besonders unaufgeräumte Wohnung, z.B. das Sofa mit den vielen zerknüllten Decken. Nach der Vorstellung begann sich dieser Stapel zu regen: Darunter schlief seelenruhig der „Hausherr“, trotz Schallpegelspitzen bis zu 110 dB (A)!
  • Gefährlich klang die telefonische Anfrage eines älteren Herrn: Ob ich ihm gegen seine Schwester helfen könne, welche nachweislich den bösen Blick habe? Seither vermeide ich in meinen Annoncen den Begriff „Magier“! Öfters passiert es nach Mentaleffekten (Gedankenlesen, Zukunftsvorhersage), dass ein(e) Zuschauer(in) mit leuchtenden Augen fragt, ob ich nicht vielleicht doch den „7.Sinn“ habe. Wenn ich dann versichere, dass es sich bei der „weißen Magie“ um reine Täuschungen handelt, ist mein Abstieg in der Rangordnung mit Händen zu greifen!
  • Manchmal kriegt man die versprochene „Mugge“ dann doch nicht. Ein besonders originelles Beispiel: An einem Samstagvormittag rief eine junge Dame an. Ob sie nicht heute Abend eine Vorstellung zu ihrem Geburtstag haben könne? Da ich nichts vorhatte und der Auftrittsort in der Nähe war, ließ ich mich ausnahmsweise darauf ein. Nach dem Gespräch telefonierte ich noch mal zurück, da ich eine wichtige Einzelheit vergessen hatte, aber die Nummer stimmte nicht! Im Telefonbuch fand ich die richtige, aber die Inhaber dieses Namens waren sehr überrascht von der nahenden Zaubervorstellung zum 16. Geburtstag ihrer Tochter – offenbar hatte eine „Freundin“, die nicht eingeladen war, sich mit dieser fingierten Buchung revanchiert!
  • Ständige Bitten um rechtzeitige Terminreservierungen bewahren einen nicht vor spontanen Anfragen. Spitzenreiter: Ein Anruf nach 20 Uhr aus 40 km Entfernung: Man säße gerade so lustig beisammen, ob ich nicht zaubern kommen wolle? Nein, lieber nicht…

 

Geburtstage für Kinder jeden Alters

Generell sieht man schon bei der Anfahrt, was auf einen zukommt: Das Haus weist den traditionellen Wiegenfest-Ballonschmuck auf. Stressigere Auftritte sind zu erwarten, wenn im Eingangsbereich die Fahrräder kreuz und quer durcheinander liegen. Öffnet beim Klingeln die Mutter (und nicht ein an der Klinke hängender Nasenbohrer), sind die Machtverhältnisse noch einigermaßen stabil. Auf das Gegenteil weist ein Stapel von Kleidungsstücken und Schuhen im Flur hin, über die man samt Requisiten kraxeln muss. Tritt man dabei auch noch auf Kekse, steht die Katastrophe bevor...

  • Einmal zauberten wir bei einer Bauernfamilie. Auf dem riesigen Innenhof waren wir im Nu von der finster dreinblickenden Landjugend (um die 8 Jahre) eingekreist, die lauthals zu wissen begehrte, was wir eigentlich hier wollten – von den Erwachsenen keine Spur! Umso mehr aber von einem riesigen Hofhund, der uns verachtungsvoll den Vorderreifen vollpinkelte…
  • Ausnahmen bestätigen die Regel: Einmal war der Vater anwesend, der allerdings total unter dem Pantoffel seiner mega-zickigen Tochter stand. Wegen des Generves der Siebenjährigen („kenn ich schon / weiß, wie’s geht / mich nimmst Du nie dran“) kürzte ich (zu ihrem Verdruss) das Programm auf die gagenrettende Mindestlänge und endete mit dem Erscheinen von „Schnee“ (weiße Konfetti). Nach Vorstellungsende packte die Göre die „Hausfrauen-Nummer“ aus: Solange ich den „Dreck“ nicht wegmache, käme ich hier nicht raus! Nach meinem Kommentar hierzu („es gibt eben Künstler und Bühnenarbeiter“) hatte ich zwei neue Todfeinde, in deren Stereo-Blickehagel ich knapp entkam…
  • Ein ähnliches Problemkind männlichen Geschlechts tobte bereits vor Programmbeginn: Erst wollte er nicht rein, dann wieder raus, schließlich doch nicht, da er mit seinem Gebrüll und Geheul zum Mittelpunkt der Darbietung wurde. Seine sechzehnjährige Schwester bemerkte düster, sie mache gerade ein Praktikum im Kindergarten und vermisse daher entsprechende pädagogische Kenntnisse bei mir. Da sich die feindselige Haltung innerfamiliär ausbreitete, lieh ich mir gegen (baldiges) Auftrittsende für einen Zaubereffekt einen Hundertmarkschein, den ich nicht mehr herausrückte. Beim Einpacken wurde ich von den Gastgebern scharf beobachtet, ob ich nicht noch was mitgehen ließe…
  • Ein besonders eloquenter, da im Rheinland beheimateter Herr nervte uns drei lange Telefonate mit dem Geburtstag seines Vaters, den er (schon aus Erbschaftsgründen) organisieren müsse. Zu diesem Zwecke werde ein Dampfer gemietet, mit allerlei Prominenz (mit der er auf Du und Du stehe) bestückt und ein dreitägiges rauschendes Fest gefeiert, bei dem wir (vor allem meine Frau Karin) flächendeckend zur Verfügung stehen sollten. Kleinliche Zeitbedenken meinerseits galten nicht: Kein Problem, er lasse mich dann eben mit dem Hubschrauber einfliegen! Nach Zusendung des Vertrags hörte ich dann nie wieder von ihm – war der Hubschrauber abgestürzt oder der Dampfer im Rhein versunken?
  • Ein ebenfalls sehr gut gelaunter Herr schilderte mir eine tolle Gartenparty, wo ich für die Kinder zaubern sollte. „Wissen Sie, wir Erwachsenen können uns ja die Birne zuknallen, aber für die Kleinen soll halt auch was los sein!“ Die Aussicht auf eine Melange von Alkohol und Gedöns ließ mich die Gage in eine Höhe schrauben, in der mir eine Absage gewiss war!
  • Grenzenlos ist der Optimismus, ab welchem Alter die Kinder einem magischen Programm mit der nötigen Konzentration folgen können – bisheriger Rekord bei mir waren vier Dreijährige („mein Kind versteht das schon“), für die man extra einen Zauberkünstler kommen lassen wollte. Derzeit harre ich noch des Engagements in einer Entbindungsstation!
  • Sehr hell war eine Stimme am Telefon: Ob ich für „zehn Mädels“ auftreten wolle? Ich fragte nach dem Alter der „Kinder“: So um die Dreißig – ein Junggesellinnenabschied! Man wolle etwas Zauberhaftes, bevor man „um die Häuser ziehe“. Das ließ ich mir nicht entgehen: In einem Dachgarten, im Hintergrund das herrliche Panorama der Großstadt, waren die ziemlich aufgerüschten „Mädels“ die eigentliche Attraktion!
  • Kleinkinder können einen auf unterschiedlichste Weise „versenken“. In meiner Anfangszeit musste ich auf einer Riesenplattform auftreten. Da ich allein war und zahlreiche Kids über die Bühne wuselten, wagte ich es nicht, schon alle Requisiten vorführfertig aufzubauen. Am Hinterrand stand als einzige „Deko“ ein riesiger Wassereimer mit mehreren jungen Birken (lichte Höhe ca. 4 m). Prompt wurde ich zu früh angesagt, raste zwecks finaler Präparation über die Bühne und streifte dabei einen Birkenzweig, worauf sich das Arrangement neigte und ich dem anschließenden Tsunami nur knapp entkam: Szenenapplaus schon vor Auftrittsbeginn!

 

Besondere Vorkommnisse

  • Gefahren drohen mitunter auch kinderlos: In einem höchst rustikal-verwinkelten Feinstschmeckerlokal wollte der Schlussapplaus kaum enden. Ich verbeugte mich rückwärts gehend immer wieder – noch ein Schritt, und ich hing über dem Geländer der sehr abschüssigen Treppe: beinahe ein unheimlich starker Abgang!
  • In Ausnahmefällen nimmt man sehr kurzfristige Buchungen an, beispielsweise bei Erkrankung eines Kollegen. Einmal wurde ein Auftritt für den nächsten Tag geordert, denn die Bauchtänzerin habe Grippe… Als ich diesen Satz bei der Anmoderation brachte, wollte das Vergnügen kaum enden!
  • Wie realistisch diese Gefahr ist, erfuhr ich beim Geburtstag eines vierzigjährigen Bekannten, für den die Gemahlin eine Bauchtänzerin bestellt hatte. Im abendlich illuminierten Garten entwand diese sich einem Geschenkkarton, tanzte anmutig-erotisch und verabschiedete sich mit Kusshänden, dabei in die Garderobe (= Gartengeräte-häuschen) trippelnd, wo ich meines Auftritts harrte. Nach Schließen der Tür war ihr erster Satz: „Arschkalt is’ da draußen!“
  • Auch nicht eleganter war die Reaktion einer jungen Balletteuse, die mit ihren Kolleginnen von einer Kindertanzgruppe vor meinem Auftritt dran war und nachher in der ersten Reihe saß. Als ich eine Schallplatte färbte, bildete sich bei den Damen eine gewisse Hypothese heraus, die ich mit dem Zeigen der gleichfarbigen Rückseite entkräftete. Kommentar der Minielfe im rosa Tutu: „Scheiße!“
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Der Kampf ums Revier: Garderoben- und Auftrittsräume

Wer hätte (trotz mehrfacher Hinweise und Passus im Auftrittsvertrag) daran gedacht, dass Zauberer einen Platz zur ungestörten Vorbereitung sowie Bewahrung der Geheimnisse benötigen (und nicht, wie es immer von Laien genannt wird: „zum Umziehen“ – wobei in den seltensten Fällen wenigstens ein Kleiderhaken existiert)? Garderoben-Spitzenreiter waren bisher

  • eine Scheune mit Traktoren, Sprühgeräten und Giftkanistern
  • ein Stühlelager unter der Bühne mit 1,20 m lichter Höhe (und selbstredend voller Sitzmöbel)
  • ein ungeheizter, mit Gerätschaften voll gestopfter Gartenschuppen  im Winter (Zugang zum Auftrittsort durch den Schnee)
  • das Weinlager eines Nobelrestaurants (Wartezeit 45 Minuten bei konstant 7 °C – ultracool!)
  • der versiffte Umkleideraum in einem Sportheim (auf dem Tisch die schmutzigen Trikots vom letzten Punktspiel) nebst einem Vereinswirt, der meiner Assistentin den Hintern tätschelte
  • diverse Küchen (Zauberer jeweils zwecks Blickschutz unter der Anrichte kniend); einmal die Futtermittelküche eines Zoos zwischen Bergen von Kartoffel- und Möhrenschnitzeln 
  • ein Treppenhaus in einem Geschäftsgebäudekomplex – als hinter uns die Tür zufiel, verschafften uns erst mehrere Handyanrufe nach 15 Minuten die Befreiung
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  • Fortsetzung folgt!  

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Montag, 2. November 2020

Kinderzauberei – ein Beispiel

 

In meinem ersten Beitrag zum Thema hatte ich abschließend ein Video verlinkt, welches Teile des Auftritts eines Kollegen zeigt – verbunden mit der Ankündigung, diese Darbietung einmal zu besprechen:

https://diemagiedesgr.blogspot.com/2020/06/kinderzauberei-eine-andere-welt.html

Da ich die magische Szene ganz gut kenne, schicke ich voraus: Keinesfalls möchte ich mich dem Kollegen gegenüber respektlos zeigen. Ich weiß von vielen eigenen Vorstellungen, wie schwierig Zauberei vor Kindern ist. Selber bin ich generell nicht scharf darauf, Videos eigener Auftritte produzieren zu lassen – und wenn, leide ich ziemlich heftig unter den vielen Schwächen, die ich bei mir selber entdecke. 

Andererseits muss man öffentliche Kritik akzeptieren, wenn man eigene Aktivitäten ins Netz stellt. Ich freue mich immer, wenn diese dann sachlich ausfällt und sich nicht in persönlichen Abwertungen ergeht – heute im Internet keine Selbstverständlichkeit.

Hier noch einmal das Video, auf das ich per Zufall gekommen bin:


Wie man in der Beschreibung sehen kann, handelt es sich um den zweiten Teil eines Programms unter dem Titel „Der zauberhafte Dachboden“. Der Kollege erforscht dabei den Speicher seines Großvaters. Meldungen, die er dabei in einer Zeitung liest, dienen ihm zur Einleitung der jeweiligen Nummern.

Die Effekte:

·         Wasser verschwindet aus dem Schuh des Großvaters (bis ca. 1:50)

·         Wasserzeitung (bis 3:00)

·         Löffel verwandelt sich in Gabel (bis 4:45)

·         Finden dreier Karten mittels Zeitungszerschneiden (bis 8:00)

·         eine Art „Kümmelblättchen“ mit drei Enten, von denen eine quietscht (bis Ende) 

Technische Aspekte: 

Ohne Zweifel beherrscht der Kollege die Handhabung der einzelnen Touren. Man erkennt es schon daran, dass von den Kindern kein Widerspruch zu hören ist.

Beim Verschwinden des Wassers aus dem Schuh und der Zeitung verstehe ich nicht, warum der Vorführende so kleine Mengen nimmt und die Flüssigkeit zunächst aus einer glasklaren Flasche in einen undurchsichtigen grünen Becher füllt. Zudem sind die Abstände beim Umfüllen so gering, dass man das Wasser fast nicht fließen sieht.

Schön mit Comedy garniert ist die Verwandlung des Löffels in die Gabel. Die Idee, mit „vollem Mund“ Unverständliches zu äußern, macht den Kindern hörbar viel Spaß. Warum der Vorführende aber eine Banane isst, wurde mir nicht klar.

Den meisten Applaus erhält der Zauberer für das Finden dreier gezogener Karten, indem er eine gefaltete Zeitung so zurechtschneidet, dass sich die verschiedenen Kartenwerte ergeben. Nun mag das Merken von Kartenwerten angesichts des Alters der Kinder vertretbar sein – warum hier aber ein Spiel normaler Größe und nicht Riesenkarten eingesetzt werden, erschließt sich mir nicht. Außerdem wird die Bestätigung der drei Werte durch die jeweiligen Zuschauer nicht deutlich genug ausgespielt. Letztlich lebt der Erfolg der Routine vor allem vom Zeitungszerschneiden und nicht vom Finden der gezogenen Karten. 

Die letzte Routine lässt mich (und offenbar auch das Publikum) ratlos zurück. Klar, eine der drei kleinen, gleich aussehenden Enten quietscht, die anderen nicht. Nur muss man das auch klar betonen und berücksichtigen, dass der Quietschton durch das zu weit entfernte Headset nur schlecht hörbar ist. Gegen Schluss ist die Verwirrung (nach meinem Eindruck auf allen Seiten) groß – das Ende der Tour wirkt wie ein Abbruch. Ist da etwas schiefgegangen? Wieso schneidet man den Effekt dann nicht aus dem Video heraus?

Auch generell würde ich eine „Kümmelblättchen“-Routine in dieser Form nicht bei Kindern zeigen. Sie gehört ja zu den „Ätsch-Effekten“, bei denen das Publikum ständig daneben rät. Die Gefahr ist groß, dass sich kleine Zuschauer dadurch veralbert fühlen. Das müsste man zumindest bei der Einkleidung bedenken. 

Darstellung und Inszenierung

Anzuerkennen ist der Versuch, die einzelnen Effekte mit einer Rahmenhandlung zu verbinden, hier das Stöbern auf Großvaters Dachboden. Auch eine Zeitung kommt mehrfach zu Einsatz. Persönlich halte ich eine solche Dramaturgie nicht unbedingt für erforderlich – vor allem, wenn sie eventuell mehr einschränkt als nützt. Ein erfahrener Kollege sagte mir in meiner Anfängerzeit: „Der rote Faden ist die Persönlichkeit des Künstlers.“ 

Als Kostüm hat der Kollege ein kariertes Hemd und eine orange Latzhose inklusive schwarze Melone gewählt, was mich an Peter Lustig aus „Löwenzahn“ erinnert. Das etwas langweilige dunkle Jackett hätte ich weggelassen. Gut, zum Thema „Dachboden“ passt die ziemlich legere Bekleidung durchaus – generell meine ich jedoch, dass Zauberer gerade für Kinder etwas Besonderes sind, was sich auch in ihrem Outfit zeigen sollte.

Der Künstler gibt sich ziemlich sachlich, ja unterkühlt. Nun bin ich zwar überhaupt kein Freund von Kinderzauberern, welche in grellbunten Kostümen augenrollend und kreischend über die Bühne hampeln. Nur: Ein wenig mehr Ausdruck und Modulation, ein stärkerer Spannungsaufbau hätte der Vorstellung gut getan. Beispielsweise nützt der Vorführende die Stimmung, welche beim „Lieblingsgetränk Cola“ aufkommt, überhaupt nicht – eher scheint sie ihm unangenehm zu sein. Nein, dann doch lieber Wasser… Begeisterung löst dies nicht aus.

Was mich am meisten gestört hat: Fast alle verwendeten Requisiten sind für die große Bühne und den riesigen Saal schlicht zu klein. Wahrscheinlich hatte man die Show für einen bescheideneren Rahmen konzipiert.

Und hier rächt sich halt der Zwang, unbedingt ein festes „Programm“ darbieten zu müssen – natürlich mit einem Gesamtthema. Dieses Konzept wird schließlich bei den Zauberwettbewerben verlangt. Wehe dem Künstler, der es wagt, einfach eine Zusammenstellung toller Einzeleffekte zu präsentieren! Aber genau das Festhalten am ursprünglich entwickelten Konzept rächt sich hier. 

Ich hätte für diesen Rahmen erst einmal Effekte herausgesucht, die von der Größe her eine gute Sichtbarkeit garantieren – ja, die „Bühne füllen“. Viele davon kann man sicher für ein Kinderprogramm adaptieren. Weiterhin kann man nach Kriterien auswählen, ich schon einmal beschrieben habe:

https://diemagiedesgr.blogspot.com/2020/04/die-zusammenstellung-des-programms.html

Insgesamt kann ich nur meinen Appell wiederholen, sich beim Zaubern nicht zu sehr darauf zu verlassen, was einem Experten, Regisseure und anderes Fachpersonal raten. Jeder Künstler muss seine individuelle Persönlichkeit ausspielen und das Programm danach gestalten. Was bei anderen funktioniert, kann sich zur Katastrophe auswachsen, wenn man es unbesehen kopiert.

Als Zuschauer lege ich jedenfalls überhaupt keinen Wert darauf, dass ein Kollege eine Viertelstunde als Musikverkäufer, Eishändler oder nachgemachter Chinese über die Bühne tollt und dann ausschließlich mit Schallplatten, Eiswaffeln oder Fächern hantiert. Er soll einfach schön zaubern.

Mir würde das reichen.

Mittwoch, 14. Oktober 2020

Tricks speziell für Kinder?

Nach längerer Pause möchte ich meine Serie zur Kinderzauberei nun fortsetzen – mit einer Sichtweise, die manche Kolleginnen und Kollegen wahrscheinlich erstaunen dürfte. Viele von uns unterscheiden ja Kunststücke für Erwachsene und Kinder – wobei im zweiten Fall gerne ein „nur“ beigefügt wird.

Zauberhändler bieten eine Fülle von Effekten an, welche angeblich „bestens für die kleinen Zuschauer geeignet“ sind. Meist dreht es sich um Hasen und andere lustige Tiere, bunte Kisten mit Comicfiguren als Verzierung, märchenhafte Geschichten, Aufsitzereffekte mit garantiertem „Kreisch-Faktor“, die Produktion von Süßigkeiten, aber auch Routinen mit „pädagogischem“ Einschlag wie die „Verkehrsampel“.

Eins ist jedenfalls klar: Vor Erwachsenen kann man diese Kunststücke kaum zeigen, die würden sich oft nicht angesprochen fühlen. Und die Kinder?

Natürlich habe ich mir in den ersten Jahren meiner Zauberkarriere auch eine Menge dieser Requisiten angeschafft, die ja „speziell für Kinder“ gefertigt wurden. Ein „Schlüsselerlebnis“ hatte ich einmal, als ich mit einem Zauberkollegen Alexander de Covas „Purse Swindle“ diskutierte (nachzulesen in dessen Buch „Ein Profi packt aus“). Wer den Effekt nicht kennen sollte: Ein Seidentuch verschwindet in freier Hand und erscheint in verschiedenen Varianten in einer vorher leer gezeigten Geldbörse wieder. Nach über 300 Vorstellungen weiß ich: Dieser Effekt ist simpel, preiswert und doch unbezahlbar. 

Nun hatte ich mir als Höhepunkt und Abschluss ein Requisit zugelegt, mit dem sich das Tuch in der Hand eines Zuschauers in ein Höschen verwandeln ließ (bei einem nicht zu zimperlichen Publikum inzwischen der Abschluss dieser Routine). Auf meine Bemerkung „Nur schade, dass man dieses Ende nicht auch bei Kindern zeigen kann“ erwiderte mein Zauberfreund ungerührt: „Also, ich mach’ das schon!“. Beim Anblick meines wohl nicht allzu intelligenten Gesichtsausdrucks setzte er genießerisch hinzu: „Ja, warum denn nicht? Das ist doch die Mütze von einem Hasen…“

Nun habe ich diese Variante zwar bis heute doch nicht in einer Kindervorstellung präsentiert (mir fehlt die passende Geschichte), aber der Grundgedanke ließ mich nicht mehr los:

Kann man Effekte aus dem Erwachsenenprogramm nicht auch – in anderer Verpackung vor einem jungen Publikum zeigen?

Was macht denn ein Kunststück geeignet für Kinder? Ich sehe hier folgende Eigenschaften: 

·         vor allem optische Wirkung

·         einfacher Ablauf ohne viele Schnörkel

·         Spannung und Dynamik, Animationen

·         klare, unkomplizierte Sprache, keine Fremdwörter – Alternative: Musikbegleitung

·         keine speziellen Erwachsenen-Themen

·         keine Rechenoperationen oder Merken mehrerer Kartenwerte etc.

·         viel Komik (Text, begleitende Manöver)

·         möglichst undurchschaubare Effekte

Wenn man über diese Liste ein wenig nachdenkt, kommt man vielleicht zu dem Schluss: Die meisten Punkte zeichnen auch gute Kunststücke für ein Erwachsenen-Publikum aus! Wir Älteren wären manchmal auch froh, wenn der Künstler sich nicht in langweiligen, ausufernden Texten verlieren würde, der Ablauf klarer und prägnanter wäre sowie mehr Spannung und Dynamik aufwiese, man uns zum Lachen brächte und wir uns nicht ständig irgendwelche Kartenwerte merken oder Rechnereien ausführen müssten.

Daher behaupte ich: Der entscheidende Unterschied besteht in interessanten oder langweiligen Kunststücken, guten oder schlechten Präsentationen, und nicht in Effekten für Kinder und Erwachsene. 

Durchforsten Sie doch Ihr Repertoire und überlegen sich bei den stärksten Nummern, ob man die nicht durch Kürzung, Vereinfachung oder eine andere Textlinie für Kinder adaptieren könnte! Ich garantiere Ihnen: Sie werden etwas finden!  

Inzwischen habe ich eine ganze Reihe von Kunststücken aus meinem Repertoire so umgebaut, dass sie bei Kindern funktionieren. Oft muss man hierfür lediglich den Text ändern und einige Schleifen aus dem Ablauf entfernen, damit die Routine einfacher und direkter verläuft. Zudem gibt es die Metaebene dann ja sowieso, da das Kunststück aus dem Erwachsenenbereich stammt. Von daher sollte man durchaus die eine oder andere Wendung beibehalten, welche sich an diesen Zuschauerkreis richtet. Oft genug werden Sie vor einem altersmäßig stark gemischten Publikum stehen – mit diesem Konzept können Sie ein Programm zeigen, welches sich, in den Grenzen des Möglichen, an alle richtet.

Abschließend möchte ich Ihnen noch ein Beispiel beschreiben, das mir viel zu denken gegeben hat und das ich bereits im vorigen Artikel angesprochen habe: 

Im Bemühen um ein „kindgerechtes“ Kunststück zauberte ich in meiner Anfängerzeit öfters ein Stoffkaninchen aus einer „leeren“ Kiste, welches ich dann „zappelnd“ in den Händen hielt. Immer wieder erhielt ich dabei von älteren Kindern den Zuruf „Ej Mann, der ist ja gar nicht echt!“ (was natürlich auch die Illusion bei den Kleineren killte).

Inspiriert vom Film „Sein Freund Harvey“ mit James Stewart erfand ich eine Routine mit dem zwei Meter großen, unsichtbaren Hasen gleichen Namens. Das Ganze wirkte auf die Junioren bombig, und das Verrückteste ist: Noch nie hat ein Kind, gleich welchen Alters, die Existenz dieses Tiers bezweifelt – er war, im Gegensatz zum nachgemachten Fellknäuel, sozusagen „echt“!

Worum geht es? Eigentlich um nichts Sensationelles. „Harvey“ assistiert mir beim Finden einer gezogenen Karte.

Ich erzähle meinen Zuschauern, dass ich seit kurzer Zeit einen neuen „Assistenten“ hätte, welcher allerdings noch ziemlich ungeübt und nervös sei – vorsichtshalber hätte ich ihn draußen angeleint: einen zwei Meter großen unsichtbaren Hasen. Ob ich ihn trotzdem einmal hereinholen solle? Na klar! Ich gehe dann vor die Tür und inszeniere aus dem Off einen Wortwechsel (man hört nur mich – unsichtbare Hasen sprechen halt auch unhörbar) mit ziemlich viel Gerumpel und Getrappel. Schließlich komme ich wieder herein – hinter mir an einer Leine (starres Seil) besagtes Tier. Auf dessen Versprechen hin, sich ordentlich zu benehmen, wird das Seil gelöst (fällt schlaff herunter).

Den Effekt des starren Seils, das dann zusammenfällt, habe ich vor vielen Jahren als „India Seil“ in Eckhart Böttchers „Zauberbutike“ erstanden.

Harvey soll einen Kartentrick vorführen, ist aber sehr durstig und möchte zunächst ein Glas Himbeersaft (oder Milch). Dieses leert er mit einem Strohhalm (Flüssigkeitsspiegel im Glas sinkt bis fast zum Boden). Dann verlangt er einen Zauberstab, dessen Handhabung ich ihm zunächst zeige, wobei er ihn mir ständig aus der Hand ziehen will. Nach einigem Hin und Her („Wenn du jetzt lieb bist, darfst du heute Abend Bugs Bunny sehen“) soll schließlich ein Kind aus einem Spiel eine Karte ziehen, sie allen zeigen und wieder ins Päckchen zurückgeben, das egalisiert und abgelegt wird. Nun wird es dramatisch: Wie von Geisterhand gleitet die obere Hälfte der Karten nach außen, und beim Zurückfahren bleibt die vorher ausgewählte vorne. Harvey hat die richtige Karte gefunden! Er und das Kind kriegen ihren Applaus, der Hase wird wieder angeleint und nach draußen befördert.


Die verwendeten Kunststücke:

Verschwindende Milch (Zauber-Butike)

Hochsteigender Zauberstab

Geister-Karten (Fa. Viennamagic, Wien)

Auch wenn Sie diese Requisiten nicht besitzen sollten, werden Sie in Ihrer Sammlung wahrscheinlich etliche Animations-Effekte finden, beispielsweise eine Version des „Kartensteigers“. Für entscheidend halte ich die Idee des „unsichtbaren Assistenten“, der alles Mögliche treibt, was man durchaus beobachten kann. Testen Sie die Wirkung auf kleine und große Zuschauer – Sie werden verblüffende Erfahrungen machen! 

Das eigentliche Wunder entsteht jedenfalls nicht dadurch, dass man eine gezogene Karte findet – dies ist eigentlich nur der Vorwand für die Inszenierung. Alles hängt von Ihrer schauspielerischen Gestaltung ab. Sie müssen an den Hasen glauben, dann tun es auch Ihre Zuschauer! 

Glauben Sie mir: Ein für Kinder geeignetes Zauberkunststück zeichnet sich nicht dadurch aus, dass auf einem Requisit eine Mickymaus prangt!

P.S. Im ersten Artikel zum Thema „Kinderzauberei“ habe ich Ihnen ein Video gezeigt, über das Sie sich Gedanken machen sollten. Haben Sie? Im nächsten Artikel lesen Sie meine Überlegungen zu diesem Auftritt!

https://diemagiedesgr.blogspot.com/2020/06/kinderzauberei-eine-andere-welt.html