Die nachfolgenden „Gedanken zum Hinterzimmer-Zaubern“
verfasste ich 1998 anlässlich einer Abendvorstellung für „amnesty international“.
Im Vorfeld war ich von einer Zeitung gebeten worden, meine magischen
Aktivitäten einmal zu porträtieren. Der Artikel wurde allerdings dann nicht
veröffentlicht: Den Journalisten war er angeblich zu „pessimistisch“ – tja,
wenn man nicht die Klischees liefert, welche sie lesen wollen…
Immer
wieder steht sie still, die Zeit in diesem einen Moment hinter dem Vorhang, ob
der nun – in Gedanken – im Wohnzimmer bei einem Kindergeburtstag hängt oder an
einem Seniorennachmittag auf einer richtigen Bühne mich noch wirklich vom
Publikum trennt. Eine einzelne Minute des Schweigens vor einer knappen Stunde
Text und Aktion, die erzwungene Untätigkeit vor einer weiten Strecke doppelter
Aktivität: Der sichtbaren Handlung und jener, die Geheimnis der Zauberkunst zu
bleiben hat.
Zurück
liegen bereits mehrere Stunden Arbeit: Telefonate, Angebot, Vertrag,
Programmplanung, Einpacken, Umziehen, Fahrt, Auspacken, Aufbau – „Was verlangen Sie eigentlich für eine
Dreiviertelstunde?“ Weiß ich nicht. So eine kurze Zeit habe ich noch für
keinen Kunden gearbeitet…
In
den letzten Stunden jedenfalls haben sich meine Gedanken spiralig bis ins Zentrum
jenes Augenblicks verengt, auf den es ausschließlich ankommt: Wurde auch nichts
vergessen, ist alles an seinem Platz, fertig präpariert und funktionsfähig?
Nirgendwo ist ja der Absturz unmittelbarer als in der Zauberei, wenn der
offenbar werdende Hintergrund die Illusion vernichtet, der Märchenprinz aus der
Kindheit binnen einer Sekunde zum Stümper von heute mutiert.
„Warum tut man sich
das eigentlich immer wieder an?“ Diese Frage liegt dem Hobby-Entertainer
besonders nahe. Es geht ja nicht um den Broterwerb. Er kann sich jedes Mal neu
entscheiden, ob er die beruflichen Belastungen noch mit dem Stress dieser „Freizeitbeschäftigung“
komplettieren will – und zumindest jener ist wahrlich nicht kleiner als bei den
Stars der Magie: Zuschauer, welche von weißen Tigern, der verschwindenden
Freiheitsstatue oder Las Vegas-Flair träumen, werden wohl leer ausgehen. Vermag
er etwas dagegenzusetzen, das akzeptiert wird, den dürftigen Rahmen eines
Wirtshaussaals vergessen machen, obwohl er nicht mit Lasereffekten,
Bodennebel und Glitzerdekoration aufwarten kann – er stattdessen auf der
Vereinsheimsbühne in der Dekoration des letzten Bauerntheaterstücks agieren
darf?
Und
selbst wenn derartige Techniken vor Ort machbar wären: Er bekäme sie nicht.
Welcher Veranstalter lässt für einen wie ihn stundenlang Scheinwerfer
einrichten, Mikrofone und Verstärker ausprobieren, den Volksstückkitsch hinter
ihm abbauen für eine „kleine
Zaubereinlage“ bei einer Vereinsfeier oder dem Jubiläum der örtlichen
Sozialstation – „for just another
magician“ – irgend so einen Zauberer, wie ein geradezu internationales
Vorurteil besagt?
Sicherlich: Jeder Veranstalter kriegt die Vorstellung, die er verdient. Doch was nutzt
diese bittere Insider-Erkenntnis? Sie stärkt kaum das Selbstwertgefühl des
Hinterzimmer-Magiers, der sich noch schnell den Staub des Stühlelagers von
seinem Outfit wischt, während der Vereinsvorsitzende ihn unter leicht
verballhorntem Namen ankündigt und anschließend die hauseigenen Lautsprecher seine
Auftrittsmusik verzerren. Wieso eigentlich dieser ästhetische Masochismus? „Wenn Sie das stört, dann zaubern Sie halt
nicht“, schrieb mir einmal ein sich – selbstredend – professionell dünkender
Kollege.
Wenn
das so einfach wäre! Oft liegen ja die Wurzeln tief in der eigenen Kindheit:
der erste Zirkusbesuch, diese verstörende und deshalb so attraktive Welt des
Scheins, ein Zauberkasten mit geheimnisvollen Requisiten, bald entzaubert durch
das Lesen der Erklärung: So simpel ist das also! Die ersten Vorführversuche vor
Freunden und Eltern, welche diesen Eindruck bestärken: Kinder sind das härteste
Testpublikum – und im eigenen Lande gilt der Prophet eh nichts. Wer sich von
den dazwischengerufenen Trickerklärungen nicht vollends frustrieren lässt,
entwickelt schließlich Gegenstrategien, erlebt das Glück erster kleiner
Erfolge.
Irgendwann
fängt man sich wohl – im Wortsinne – einen Erreger ein, kann es nicht mehr lassen,
weil man es immer wieder wissen will, kurz vor dem Auftritt nur die eine Frage
vor Augen hat: „Zu wieviel Prozent kann ich
heute meine eigenen Ansprüche umsetzen?“
Das
Fehlen eines imposanten Rahmens zwingt den Protagonisten zu einer klaren Eingrenzung
des Themas: Im Mittelpunkt steht die eigene Persönlichkeit – nicht zur
Selbstbeweihräucherung, sondern für den Dialog mit dem Publikum. Selbst wenn
man nur in gleißendes Scheinwerferlicht blicken sollte: Man weiß, dass sie dort
unten sitzen, mit all ihren lauten oder stummen Fragen und Einwänden, Gedanken
und Gefühlen. Wer diese Fäden verliert, irrt durch das Labyrinth seiner
Darbietung. Nimmt man den Kontakt aber auf, begibt man sich in das
gleichermaßen riskante wie animierende Spiel mit der Unwägbarkeit des
Augenblicks. Mag der Akteur kreativ sein oder nicht – die Zuschauer sind es
immer. Es gilt, nur dort kalkulierbar zu sein, wo man es will, im
entscheidenden Moment abzutauchen ins Unfassliche.
Auch
das Publikum hat seinen Part zu spielen. Wer nur wissen will, wie es geht,
sollte einmal darüber nachdenken, welche Probleme ihn in eine Zaubervorstellung
treiben. Man kann jemanden nicht gegen seinen Willen faszinieren. Wo sich aber
die Wünsche vereinen, können gemeinsame Momente des Abhebens entstehen, in
denen die Partner an echte Zauberei glauben – für einen Moment der erhabenen
Zwecklosigkeit.
Nach
dem Schlussapplaus steht die Welt wieder für einen Augenblick still, bevor die
Zutaten des schönen Scheins wieder zu Packmaterial werden, das es aufzuräumen
gilt. Für eine Minute denkt man an nichts, doch es ist eine positive Leere: Man
hat alles gegeben.
Außerdem muss man ja noch die üblichen Zuschauerfragen beantworten: „Da müssen Sie doch sicher viel üben?“
Ja, das auch…
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