Freitag, 11. Dezember 2020

Meine schönsten Zaubererlebnisse VI

 

Künstlerkollegen

 

„Ich wollte doch nie zu solistisch werden, hab’ ich gedacht – das war Illusion“: Diese Erkenntnis Werner Schneyders passt auch zu meinen künstlerischen Aktivitäten. Es ist manchmal schon schwer genug, sich mit Veranstalter und Publikum zu arrangieren. Zauberer sind halt meist Solisten. 

Doch bringen es Feste mit sich, dass sich dort Entertainer aller Art tummeln, vor allem Musiker.

Die geben sich meist sehr nett, begrüßen einen gleich mit traulichem Du und sind grundsätzlich gerne bereit, mit Stromanschluss, Mikrofon und CD-Abspielung zu dienen, wenn man im Gegenzug akzeptiert, dass sie mit ihren Instrumenten, Mischpulten, Boxen, Computern und Kabeln die Bühne, auf der man eigentlich zaubern wollte, vollstellen. Na gut, geht man halt auf’s  Parkett (siehe auch: Kontakt mit dem Publikum).

Inzwischen nehme ich aber lieber mein eigenes technisches Equipment mit, da der gute Wille oft größer ist als die realen Möglichkeiten! 

Als ich in meiner Anfangszeit in einem Nobelhotel engagiert war, wirkten die Musiker der Jazzband zunächst sehr entgegenkommend, nach meiner Dreißig-Minuten-Vorstellung jedoch weniger. Der Kapellmeister erteilte mir schließlich den väterlichen Rat: „Wenn Du mit Musikern auftrittst, dann nie unter 45 Minuten, weil die sonst nicht mit dem Essen fertig werden!“ Muss einem doch gesagt werden…

Manchmal gucken Musiker (oder andere Künstlerkollegen) bei der Vorführung zu. Wenn die dann klatschen, sich amüsieren oder einen gar hinterher loben, bedeutet mir das sehr viel: Diese Leute haben meist schon einiges gesehen und daher ein fundiertes Urteilsvermögen. Gastwirte hingegen schauern fast nie zu; wie ich feststellen konnte, genügt ihnen die hörbare Reaktion des Publikums in Verbindung mit den Getränkebestellungen. Die Herzen von Alleinunterhaltern gewinnt man bisweilen mit der Weitergabe kleiner Zaubertricks, mit denen sie sich bei turbulenten Kinderfesten über die Pausen retten können. So wurde eine Drehorgelspielerin für längere Zeit zur Stammkundin meiner Zauberkurse.

Da die künstlerische Qualität der Kollegen oft nicht schlecht ist, habe ich inzwischen einige Adressen, die ich gerne an meine Kunden weitergebe, wenn sie noch eine anderweitige Darbietung suchen. Bei einer Betriebsweihnachtsfeier trällerte sich die Sängerin jedoch ziemlich lausig durch die einschlägige Zucker- & Zimtliteratur. Wie uns der Keyboardspieler hinterher aufklärte, handelte es sich um die Juniorchefin der Firma, die ihm vor einer Stunde mitgeteilt habe, sie könne und wolle daher hier und jetzt singen. Sein Kommentar: „Nerven musst schon haben als Musiker…“ Wir waren einander auf der Stelle sympathisch! 

Hobby-Instrumentalisten sind oft selber nervig, da mit starkem Lampenfieber ausgestattet. Also wollen sie alle möglichst früh spielen, damit sie es hinter sich haben und mit den kulinarischen Genüssen loslegen können. In solcher Umgebung darf ich meist erst gegen Mitternacht auftreten, wenn die Gäste müde, alkoholisiert oder schon gegangen sind. Zudem ist diese Spezies von Hobbytastateuren und Streichern gelegentlich höchst chaotisch.

Bei einem kombinierten Musik- und Zauberauftritt inklusive stundenlanger Anfahrt durch Sturm und Gewitter begehrte der Pianist, als endlich alles startklar war, einen großen Karton! Der Grund: Ihm war doch noch aufgefallen, dass das Notenpult am E-Piano zu schmal für seine Partitur war. So konnten die Zuschauer dann das ganze Programm hindurch die Aufschrift „Weingut sowieso“ lesen. Bei besagter Party gelang es mir erst circa eine Stunde nach Vorstellungsende, kurz vor der finalen Dehydrierung, etwas Trinkbares aufzutreiben; zudem war das Ganze wegen freundschaftlicher Beziehungen eines Musikers mit den Gastgebern gagenfrei und rangiert daher auf einem Spitzenplatz unter den „Worst Ten“ meiner Auftritte! Hinzu kommt, dass dem anwesenden Onkel- und Tantenpublikum Hansi Hinterseer deutlich näher stand als Rossini und Strauss (jedenfalls nicht Johann)… 

Ähnlich gestrickt waren die Gäste bei einer Hochzeit. Nach 45 Minuten hatte sich im hinteren Bereich der Tafel eine Parallelgesellschaft etabliert, die demonstrativ die eigene Unterhaltung pflegte. Ich hätte auch gerne aufgehört, aber die Braut hatte mindestens 60 Minuten Programm geordert. Also brachte ich den Spruch: „Wenn’s Ihnen zu lang dauert, dann bedenken Sie bitte, dass Karl Moik nicht unter zwei Stunden sendet!“

Das längste Musiker-Drama erlebten wir bei einem Ball-Auftritt in einem großen Theater-Festsaal. Der Veranstalter hatte uns die Wahl zwischen einer Präsentation der zehn Standard- und Lateinamerikanischen Tänze (!) und einer Zaubervorstellung gelassen. In Anbetracht unseres fortgeschrittenen Alters wollten wir lieber zaubern!

Wegen der Größe des Raumes sollte  mein Headset-Mikrofon über die Anlage der Musiker laufen. Nach erfolglosen Kontaktversuchen endlich drei Tage vorher der Anruf des Bandleaders: Ob ich für mein drahtloses Mikro eine Postzulassung hätte? Sonst könne es geschehen, dass mein Text plötzlich über UHF-Frequenzen die Fernsehprogramme in der Umgebung störe! (Im Nachhinein frage ich mich: Was ging’s ihn eigentlich an?!) Längere Nachforschungen ergaben: nein (drum war’s wohl ein Sonderangebot…). 

Was jetzt? Kein Problem, die Haustechnik könne mir ein Sendermikro zur Verfügung stellen. Da zog jedoch der Veranstalter nicht mit – er hätte sonst für den ganzen Abend einen Tontechniker bezahlen müssen! Neue Verhandlungen mit dem Theater: Ob’s für eine Stunde nicht billiger ginge? St. Bürokratius beschied uns: Nein, aber wenn wir (?) die Problematik unzulässiger Frequenzen nicht angesprochen hätten, wäre es dem Hausherrn wohl Wurst gewesen. 24 Stunden vorher kapitulierten wir und zeigten unsere Tanzshow (ächz, keuch), bei der es dem verblödeten Musikerchef noch gelang, uns zweimal die Toneinspielung zu verhunzen. Manchmal sehnt man sich danach, einmal die eigenen Grenzen erproben zu dürfen…

 

Moderatoren

erlebe ich eher selten, da ich diesen Job im Zweifel lieber selbst übernehme.

In unserer Frühzeit waren wir einmal mit einigen Kollegen für eine Zaubergala in einer Stadthalle in Baden-Württemberg engagiert – meist eine undankbare Sache, da man schon Stunden vorher zur Licht- und Tonprobe da sein muss; am Abend dann nach einer Stunde hinter dem Vorhang schlagartig acht Minuten Höchstleistung, hinterher eine weitere Stunde Herumhängens bis zum Schlussapplaus. In diesem Fall waren die Mitwirkenden alle sehr lieb, vor allem der sehr routinierte Moderator, welcher mich als Bühnenneuling kurz vor dem Auftritt väterlich beiseite nahm. Sein (im besten Schwäbisch formulierter) Rat: „Woischt, des sin’ alles ganz nedde, brave Leid, koi Angschd – Du muschd nur wisse, die Nachdglubbschbrüch, die solldsd bessr soi losse…“ War ich froh, dass mein Text gar keine „Nachtclubsprüche“ enthielt (damals jedenfalls)! 

Einsame Spitze unter den moderierenden Zauberern: Bert Rex. Nie vergessen werde ich den Text aus einem seiner Kunststücke, bei dem er ein getupftes Taschentuch aus der hinteren Hosentasche zieht: „Aus der Tasche am Gesäß zieh’ ich was Gepunktetäs“ oder seine ägyptische Variante des Becherspiels: „Nemesis Bällchen und Ramses durch den Becher…“ Weltklasse!

 

Bei den Zauberkollegen ist die Bandbreite riesig. Sie reicht von routinierten Künstlern, die in aller Ruhe arbeiten und noch anderen helfen, bis zu völlig Irren, die alles durcheinanderbringen, was im Vorfeld noch halbwegs geordnet erschien (und das ist oft wenig genug).

Zu letzterer Spezies zählt ein katholischer Pater, den ich in einem Zauberclub in abgeklärter, philanthropischer Pose erlebt hatte. Als wir aber einmal bei einer Zaubergala gemeinsam engagiert waren, entpuppte er sich als veritables Stinktier, das hinter den Kulissen ständig nur Raum für sich, seine Requisiten sowie seine angegriffenen Nerven reklamierte.

Mit Vorsicht zu genießen ist auch der Typus des permanenten „Kümmerers“, der ständig ganz genau wissen will, was man vorzuführen gedenkt, um anschließend mit einem Wust von „Verbesserungsvorschlägen“  das eigene Kunststück bis zur Unkenntlichkeit zu zerlegen – da ist manchmal auch etwas Neid dabei und die klammheimliche Freude, einem ein Kunststück zu vermiesen...

Unvergesslich wird mir eine Veranstaltung in einem „Kocherl-Verzupfer“-Biergarten bleiben. Ein sich professionell dünkender Kollege hüllte ab seiner Ankunft alles rundherum in eine Wolke eigener Bedürfnisse, Sorgen und sonstiger Wichtigkeiten. So debattierte er endlos mit seinem zänkischen Eheweib, ob er auf dem schwankenden Podest die Schwebeillusion überhaupt vorführen könne, ohne dass sein dürres Klappergestell geräuschvoll vom Stuhl fiele. Als Höhepunkt tänzelte der 120 kg-Magier im Tangaslip durch die Garderobe und führte uns seinen neuen Walkman vor (Gott sei Dank wirklich ein Cassettenspieler mit Kopfhörern). Erst als die Bauchtänzerin mit ihrem zuhälterartigen „Manager“ auftauchte, nahm die Ego-Show etwas ab…

Da ich nur als Begleiter eines Zauberfreundes anwesend war, nahm der Star eh keine Notiz von mir – erst einige Zeit später, als er sich über einen meiner Kundenbriefe ärgerte und mir per Fax riet, ich solle doch das Zaubern Profis wie ihm überlassen. Auf meine Antwort, ich könne mich noch gut an seine hinreißende Präsentation in besagtem Vorstadtbiergarten erinnern, hat er nie reagiert!

Ebenfalls ein Fax kriegte ich von einem „professionellen“ Magier aus der Region, der sich recht pikiert darüber zeigte, dass die edle Zaubererzunft durch Dilettanten wie mich ruiniert würde. Mein Engagement für die Deutsche Welthungerhilfe in allen Ehren, aber das könne ich doch viel besser als Drehorgelspieler in der Fußgängerzone ausleben! Meine Replik: Ich müsse mir erst eine seiner Vorstellungen ansehen, damit ich ihm ebenfalls ein Instrument und einen Standplatz empfehlen könne. Sicherheitshalber legte ich noch eine schlechte Zeitungskritik zu einem seiner Auftritte bei. Bis heute hat es dieser Kollege übrigens verhindert, dass ich in meiner Heimatstadt von irgendeiner halbwegs offiziellen Stelle ein Engagement angeboten bekomme, da er hinter selbigen her ist wie der Teufel hinter der armen Seele…

Oft werde ich von Kunden gefragt, ob ich Mitglied des Magischen Zirkels sei. Mit einem Groucho Marx-Zitat („Ich würde nie in einen Verein eintreten, der bereit ist, mich als Mitglied aufzunehmen“) drücke ich mich vor ernsthafteren Erörterungen. Eines meiner großen Vorbilder, Marvelli, sagte einmal: „Die machen Zauberkunststückchen, ich dagegen Zauberkunst!“ Mir gelang es jedenfalls bei gelegentlichen Treffs mit Zirkelmitgliedern kaum, das Gespräch über ständig neue (?) Tricks und Griffe hinaus auszudehnen.

Über einige Klassiker unter den Zauberkunststücken (z.B. das „Brainwave Deck“) habe ich mir im Laufe der Jahre viele Gedanken gemacht (Präsentation, Psychologie, Text, Vorführvarianten) und eigenständige Versionen entwickelt. In der Regel lautet die Zirkel-Reaktion (einmal sogar von einem Spitzenfunktionär): „Na gut, aber den Trick (!) kennen wir schon!“ Na dann… Inzwischen findet man meine Version in meinem Zauberbuch (S. 129-140)

Als ich die klassischen Chinesischen Ringe zum ersten Mal vor größerem Publikum vorführte, war ein renommierter Zunftvertreter unter den Zuschauern. Sein Rat: Ich solle mir doch statt des „ausgeleierten Ringspiels“, das so ziemlich jeder vorführe, etwas Originelleres überlegen. Glücklicherweise ließ ich mich, trotz anfänglicher Irritation, nicht von meinem Weg abbringen. Wenn es heute einen Effekt gibt, nach dem immer wieder gefragt wird, mit dem ich identifiziert werde und der so einen Großteil der Gesamtgage erbracht hat, so waren das – die „ausgeleierten Ringe“! Viel später las ich den Ausspruch eines bekannten Kollegen: „Amateure fragen ihren Zaubergerätehändler, ob er etwas Neues hat, Profis erkundigen sich nach etwas Altem!“

Aber es gibt auch Kollegen, denen ich sehr viel verdanke, zum Beispiel Eckhard Böttcher, der immer wieder Texte und Ideen von mir veröffentlicht hat, obwohl ich mich stets vom magischen Establishment ferngehalten habe. Ebenso erlebte ich jedoch einen Zauberhändler, der meine Ideen offiziell ignorierte, meinen Text und Beschreibung aber klammheimlich einem seiner Produkte beilegte und noch beleidigt reagierte, als ich ihn darauf ansprach…

Treuherzig nimmt sich da auch die Bitte eines sehr jungen Zauberers aus, ich möge ihm den Text einer meiner Erfolgsnummern, an dem ich jahrelang gefeilt habe, „mal schnell durchfaxen“!  

Gut gemeint war sicher die Skepsis von Fachkollegen, als ich mich in meiner Frühgeschichte (aber immerhin schon Ende Dreißig) an einem Zauberwettbewerb beteiligte. In meinem Alter? Aussichtslos! Meinen Auftritt (aus heutiger Sicht mit mehr als bescheidenem Programm) ignorierte die Fachwelt – bis auf einen Kollegen, der sich, samt seiner Familie, sofort freundlich meiner annahm. Dies blieb auch so, als er den zweiten Platz belegte und ich den Wettbewerb gewann: Es war der Beginn einer langjährigen und höchst produktiven magischen Zusammenarbeit, bei der wir oft bis zum Morgengrauen bei literweise Kaffee Ideen diskutierten und Abläufe entwickelten. 

Nebenbei: Im Jahr darauf gelang es der Fachwelt, die Wiederholung von Peinlichkeiten wie den Preisgewinn durch einen „No Name“ zu verhindern: Man ließ bei der Zaubermeisterschaft nicht mehr das Publikum, sondern eine Expertenjury entscheiden – damit war ich aus dem Rennen!

Aber ich möchte eigentlich nicht wirklich für Funktionäre zaubern, die eh schon alles wissen (und denen daher vieles zum Halse heraushängt), sondern für meine privaten Kunden, die (zum Glück) immer wieder anrufen und fragen: „Zaubern Sie eigentlich noch?“ Na klar!

Fortsetzung folgt!

 


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