Heute nun der achte und letzte Teil von magischen Ereignissen, die zumindest in der Rückschau amüsant sind. Wie immer wünsche ich viel Vergnügen und Vermehrung der Erkenntnisse!
Schulische Illusionen
„Was, Sie sind Lehrer? Da freuen sich Ihre Schüler sicher, wenn Sie ihnen etwas vorzaubern!“ Obwohl ich auf so ziemlich alle Klischeefragen vorgenormte Antworten parat hatte, reichte es in dem Fall meist nur zu einem „Ja, doch, sicher…“
Selbstverständlich begrüßen es die Klassen, wenn man in der letzten Stunde vor den Ferien den Unterricht durch eine Zaubervorstellung ersetzt – noch lieber wäre es ihnen aber wohl, wenn die Stunde ganz ausfiele… So war ich, was diesen Rollenwechsel Lehrer-Zauberer betrifft, eher zurückhaltend, reservierte ihn für besonders nette Klassen und habe daher vorwiegend positive Erinnerungen an solche Auftritte.
Weniger schön wurde es, wenn sich die Erwartungshaltung etablierte, ich hätte nun quasi automatisch zum Schulfest, zum Projekttag, zur Lehrerfortbildung, zur Faschingsparty, zur Lesenacht, zum Schulkonzert, zur Feier des Elternbeirats, zum Kollegenumtrunk, zum Abiturball sowie zum Tag der Offenen Tür Zauberstab bei Fuß zu stehen.
Bei all diesen Anlässen bin ich zwar schon aufgetreten, aber meist nur ein einziges Mal, denn die Erfahrungen waren recht gemischt: Man ordert eben noch einen (erfreulicherweise kostenlosen) Unterhaltungsbeitrag, ohne sonderlich auf den Künstler und seine Bedürfnisse einzugehen. So durfte ich mich bei einem Riesenfest des Elternbeirats in einem Pferdestall (mit echten Rössern!) umziehen, beim Schulkonzert erleben, dass auf meinem Zaubertisch plötzlich ein Hackbrett stand, und beim Abiturball zwei Stunden in einem überheizten, ungelüfteten Kabuff auf meinen Auftritt warten, was mir auch noch das Beleidigtsein der Lehrertanzgruppe einbrachte, die annahm, ich (und nicht die völlig überforderten Organisatoren) sei für die Verspätung verantwortlich.
Und hinterher? Gage kann man dafür eh nicht nehmen, ganz selten gab es mal einen Blumenstrauß und/oder eine Flasche Wein, oft nicht einmal einen Händedruck und ein Dankeschön – schließlich muss es doch der Traum des zaubernden Pädagogen sein, den eigenen Laden mit Gratisvorstellungen zu versorgen…
Manchmal hatte man sogar den Eindruck, die Schulfamilie halte es für Personenkult, wenn sich eines ihrer Mitglieder derart profiliere – oder, wie es einmal hieß: „Machen Sie das Klassenzimmer nicht zur Showbühne!“ Natürlich könnte ich nach Curt Goetz kontern: „Ein Lehrer, der kein Künstler ist, ist auch kein Lehrer!“ – aber was soll’s? Jedenfalls mochte ich nicht so enden wie ein ebenfalls magisch agierender Kollege, dem einmal die Abiturzeitung beschied: „Zaubern kann er, aber sonst kann er nix!“
Begibt sich der Prophet vom eigenen Lande weg in fremde Gefilde, so gilt er, sogar in Schulen, meist deutlich mehr: Vor langer Zeit zauberte ich auf einem Schulfest eines benachbarten Gymnasiums und, mit praktisch dem gleichen Programm, auf dem Sommerfest meiner Schule, wobei ich jeweils eine Spendenbox für die Deutsche Welthungerhilfe aufstellte. Ergebnis: In der Nachbarschule 120 Zuschauer und über 100 Euro Spenden, bei uns 70 Gäste und etwas mehr als 40 Euro!
Und für die wichtigen Sachen holt man eh Künstler von auswärts. Unser Schulneubau hat eine wunderschöne Aula mit Bühne, Vorhang, Licht- und Tonanlage. Es müsste schön sein, dort einmal ein Solo-Abendprogramm darzubieten – müsste, denn offenbar hält einen die eigene Schule nicht für abendfüllend, was mich aber nicht von meinem Grundsatz abbringt, zu zaubern, wenn ich gefragt werde, jedoch nicht zu fragen, ob ich zaubern darf…
An fernen Orten
Lange Anreisen sind bei Amateuren eher selten, da man sie nicht bezahlt erhält. Einige Male erreichte ich aber tatsächlich Orte im hohen Norden wie beispielsweise Lübeck. Unser üblicher Aktionsradius lag eher im 100 Kilometer-Bereich.
„Zauberfestivals“ mied ich gewöhnlich wegen der Anwesenheit zu vieler Kollegen. Eine Ausnahme machte ich vor Jahren, als mir bei einem derartigen Event unter dem Motto „Verzauberte Altstadt“ ein Straßenzauberei-Auftritt angeboten wurde. In dieser „Königsdisziplin“ ohne viel Ausstattung Passanten anzulocken und bei der Stange zu halten, ist eine echte Herausforderung. Als Trainingsmöglichkeit kann ich das jungen Kollegen nur empfehlen. Es gelang jedenfalls an diesem sonnigen Herbstnachmittag nahezu perfekt und brachte mir überdies ein halbseitiges Foto in der Lokalzeitung ein (natürlich ohne Namen, hätte ich von der Presse auch nie erwartet…).
Meinen größten „magischen Horrortrip“ erlebte ich, als mir ein Festival-Auftritt in einer weiter entfernten Stadt angeboten wurde (als Vertretung für einen erkrankten Kollegen). Man versicherte mir glaubhaft, es sei eine seriöse Sache. Vom Organisator, einem Mitglied des Magischen Zirkels, erhielt ich postwendend den schriftlichen Auftrag und aus dem Internet vollmundige Anpreisungen des Festivals: „magisches Feuerwerk von Gauklern und Taschenspielern, Feuerschluckern, Jongleuren, Akrobaten und (?) Artisten, stimmungsvolle Open-Air-Arena…“ Die Gage: Kaum mehr als die Spesen – na gut, was tut man nicht alles für einen interessanten Gig?
Das Weitere in Stichworten:
* Sonntag, 10.15 Uhr: Abfahrt von zu Hause
* 11.30 Uhr: pünktliches Eintreffen nach Slalom durch die Altstadt zur „Einweisung der Künstler“ (der Veranstalter war nicht da, ließ sich aber durch seine Freundin vertreten)
* 12.00 Uhr: Ankunft bei dem „netten Blumenladen“, wo die Chefin schon auf uns warte und vor dem ich meine Zaubereien zeigen sollte – er entpuppte sich als Gartencenter in einem abgelegenen Gewerbegebiet, das erst ab 13.00 Uhr öffnete, folglich war niemand da.
* 12.15 – 12.45: Nahrungsaufnahme in einer nahegelegenen Bäckerei
* 12.55: Erstkontakt mit einer Gärtnerei-Angestellten (die versprochene Chefin war abwesend): Wir seien viel zu früh, wegen des Zauberfestivals in der Innenstadt (!) kämen wohl erst ab ca. 14 bis 15 Uhr mehr Kunden (als das Dutzend Jugendlicher mit Skateboards und Basecaps, die schon Minuten vorher versucht hatten, die Eingangstür aufzudrücken...). Unser Auftrittsplatz, der versprochene Stromanschluss für die Tonanlage? Da wisse man nix davon, aber da neben der Yuccapalme unter dem Wasserfall sei wohl eine Steckdose… „Gehen Sie doch noch einen Kaffee trinken!“
* 14.15 Uhr: Taten wir dann auch, und zwar zu Hause, denn unmittelbar nach diesem Gespräch suchten wir das Weite. Da es wohl sinnlos gewesen wäre, vom Veranstalter wenigstens noch die Fahrtkosten für diesen vertanen Tag zu reklamieren, verständigten wir diesen im Gegenzug erst nach unserer Heimkehr per SMS. In weiser Voraussicht schaltete ich dann das Handy aus, zog den Telefonstecker und hielt Siesta!
Am folgenden Abend ereilte mich das Schicksal dann in Form eines halbstündigen Anrufs des Veranstalters: Dieser war ausweislich seiner Homepage ein professioneller Aktionskünstler, welcher u.a. folgende Dienste anbot: Comedy, Zauberei, Stelzengeher, Drehorgelspieler, Feuer-Show, Guiness-Rekorde, Entfesselungsaktion, Bodypainting (na,na!) sowie Kinderanimation.
Der von mir schnöde Verlassene erging sich in einer Reihe prolliger Vorwürfe von „feiges Abhauen ohne Bescheid zu sagen“ bis zu „benimmst Dich wie ein Fünfzehnjähriger“. Meine Frage, was sich denn geändert hätte, wenn ich diesen Werbeauftritt für ein Gartencenter statt des angekündigten „Straßenzauberfestivals“ moniert hätte, ergab im Wesentlichen, man hätte ja über alles reden können. In der Tat aber hätte man schon erwartet, dass ich zumindest einen Auftritt versuche, vielleicht hätte mich dann irgendwann ein Kollege abgelöst (na, der hätte sich gefreut…).
In Sonderheit erzürnt war der Kollege von meiner „Empfindlichkeit“: Als Profi müsse er oft genug zu solch lausigen Konditionen arbeiten wie zum Beispiel gestern beim Aufstellen der Hüpfburg (noch was Neues!) – meiner Pedanterie nach sei ich wohl Beamter! Da ich keine Lust hatte, diesem Prekariats-Entertainer noch Wasser auf seine Klischeemühle zu leiten, deutete ich nur vage an, mein eigentlicher Beruf habe nicht direkt etwas mit Hüpfburgaufblasen zu tun (kann aber noch kommen…).
Auch vom lausigsten Veranstalter erwarte ich zwei Dinge: eine halbwegs realistische Darstellung des Auftrags und ein Minimum an persönlicher Betreuung!
Der Zufall wollte es, dass ich einige Tage später ein Seminar über die Geschichte der Zauberkunst abhielt. Der älteste historisch verbürgte Zauberer, Dedi, durfte vor mehr als 6000 Jahren immerhin vor König Cheops auftreten und erhielt laut dem ägyptischen „Papyrus Westcar“ dafür ein „fürstliches Honorar“. Von der Antike bis zum Ende der Hexenverbrennungen gehörten die „Gaukler und Taschenspieler“ zum fahrenden und daher ehrlosen Volk, mit dem man fast nach Belieben umspringen konnte. (Die Betrügereien von Cagliostro und Kollegen trugen freilich nicht zur Verbesserung des Rufes bei!) Erst die Magier des 19. Jahrhunderts wie Robert-Houdin, Döbler und Hofzinser machten die Zauberei zur Kunst in den feinen Salons und auf seriösen Bühnen. Und heute?
Meines Wissens war es in den siebziger Jahren Marvelli, der es als letzter deutscher Zauberkünstler schaffte, mit seinen abendfüllenden Shows in den Programmen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu landen. Wieso eigentlich? Mein Verdacht: Weil unsere so genannten „Profis“, angeblich aus wirtschaftlichen Gründen, auch noch das schlimmste Angebot annehmen und so unser Renommee weit ins Mittelalter zurückwerfen!
Jubiläen
Heute, an meinem 70. Geburtstag, darf ich auf 1041 Zauberauftritte zurückblicken. Und obwohl beim Lesen der Anekdoten ein anderer Eindruck entstehen könnte: Die große Mehrzahl hat nicht nur dem Publikum gefallen – auch wir waren sehr zufrieden, ja öfters tief beeindruckt von den Reaktionen der Zuschauer.
Als Beispiel habe ich eine Notiz zur Vorstellung Nr. 801 gefunden:
Kleine Familienfeier in einem Wirtshaus auf dem Land! Das „Sportheim“ lag inmitten einer waldigen Einöde, Gaststube mit Neonlicht, an den resopalbeschichteten Tischen ca. 20 Verwandte: Die Oma wurde siebzig. Einmal mehr beneidete ich Profikollegen, denen mit Bühne, Licht, Nebel und Lasershow bereits ein Illusionsteppich ausgerollt wird, auf dem sie kaum noch stolpern können. Und was hatten wir? Doch dann bereits während des Intros zuerst schüchterner, dann sich steigernder Szenenapplaus, in der Folge Lachen, Staunen, leuchtende Augen und offene Münder vom Enkel bis zur Oma. Nach 50 Minuten großer Schlussbeifall nach dem in diesen Mauern sicherlich noch unerhörten Satz von Friedrich Hölderlin: „Ein Bettler ist der Mensch, wenn er denkt – ein König, wenn er träumt!“ In der Garderobe drückte mir die Tochter der Jubilarin die Hand, in der sich auch noch 10 Euro Trinkgeld befanden, „weil’s so schee war“.
Die Verzauberung war derartig groß, dass wir einen Teil mit nach Hause nehmen konnten: Nur „Hinterzimmer-Zauberern“ ist die Erfahrung vorbehalten, wie sie selber, durch Persönlichkeit und nicht das „Drumherum“, wirken können!
Es gibt in der Zauberkunst eine historische Linie, die einen weiten Bogen um Hüpfburgen und Sensationsdarstellungen macht, stattdessen die Poesie darstellt, die in der magischen Kunst enthalten ist. Sie begann im 19. Jahrhundert mit Kollegen wie Robert-Houdin und Hofzinser und wirkt auch heute noch – abseits des „Mainstream“. Ein großes Vorbild war mir stets Ludwig Hanemann alias Punx. Hier der Epilog seines Programms:
„Wie eine zarte, bunte Seifenblase –
Unfasslich-wirklich, zwischen Schein und Sein,
Schuf ich ein Reich aus Wundern, Märchenträumen.
Wenn ihr das Wunder glaubt, so wie die Kinder glauben,
Wird lang ein Lächeln euch im Herzen stehn –
Und eure Augen sein wie Kinderaugen – so weit, so fern,
denn ihr – habt Punx gesehn!“
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