Bei manchen Zaubervorstellungen möchte ich nach fünf
Minuten schon wieder gehen. Grund: Der Kollege tut nicht, was laut Programm
versprochen ist: zaubern. Stattdessen holt er sofort ein bis zwei Personen
aus dem Publikum auf die Bühne und beginnt mit diesen einen ellenlangen Dialog.
Ich habe Auftritte erlebt, bei denen zu Beginn schon zwei Stühle auf der Bühne standen und der einleitende Satz des
Magiers lautete: „Jetzt brauche ich
erstmal zwei Helfer.“ Nein, braucht er nicht!
Das geht manchmal so weit, dass der Vorführende von
vornherein geradezu damit droht, irgendeine arme Seele gleich auf die
Bühne zu zerren – Prinzip Schadenfreude: Jeder ist dann froh, wenn es
ihn nicht trifft. Oder, auch bei Kabarettisten sehr beliebt: Ein Gast aus der
ersten Reihe wird nach seinem Vornamen gefragt und dann das ganze
Programm über mit dämlichen Sprüchen belegt.
Solche Faxen sind der Grund, wieso ich mich bei
solchen Events stets in eine der hinteren Reihen begebe. Ich möchte mich
nämlich für den Preis einer Eintrittskarte unterhalten und nicht
befürchten müssen, zum Opfer diverser, meist weder neuer noch geglückter Scherze
zu werden. Mit entspanntem Genuss einer Vorführung hat das für mich
nichts zu tun!
Klar, das Ganze läuft unter der heute sehr populären
Flagge der „Publikumsbeteiligung“. Wie ich schon dargelegt habe,
gibt es hierfür jedoch auch andere Möglichkeiten. Und warum eigentlich
bitten Schauspieler relativ selten einen Laien auf die Bühne, um die
eigene Rolle zu ergänzen – oder Pfarrer einen Gläubigen zum Altar, auf
dass er bei irgendeinem Ritus mithelfe? Oder welcher Orchesterleiter lässt
einen Hörer mal ein wenig mitdirigieren?
Ich möchte diese Option aber nicht völlig verdammen.
Sicherlich kann so eine Einbeziehung Vorteile haben:
Die
„Testperson“ beteiligt sich stellvertretend
für das restliche Publikum hautnah am Geschehen, ist sozusagen ein Garant
dafür, dass alles „seine Ordnung hat“, und wirkt durch die Nähe vielleicht sogar
noch mehr verblüfft. Ihr Erstaunen wird von den anderen Zusehern „gespiegelt“.
Mit
dieser Strategie kauft man sich jedoch auch erhebliche Probleme ein:
Eventuell
möchte ein angesprochener Besucher gar nicht
mitmachen, was zu einem Bruch im Rhythmus der Darbietung durch
irgendwelches Gezerre und
möglicherweise zum Ausweichen auf andere
Kandidaten führt. (Übrigens „spiegelt“ das Auditorium dieses
Verhaltensmuster ebenfalls – nach der ersten Verweigerung wird es Ihnen nicht leicht
fallen, jemand anderen zu finden, der kooperiert!) Wenn Sie somit einen mehr
oder weniger „Unwilligen“ auf der Bühne haben, kann der Ihnen mit einer „Defensivstrategie“ erhebliche Probleme
bereiten!
Zudem
gilt in einer solchen Situation „Murphys Gesetz“ umfassend: Alles,
was schiefgehen kann, wird schiefgehen und die Routine in die Länge ziehen – verlassen Sie sich
darauf! Im anderen Extrem können Sie nämlich an einen Assistenten geraten,
welcher begeistert zu Ihnen nach vorne eilt, da er sich endlich einmal wichtigmachen und Ihnen die Show durch „kreative Einfälle“ stehlen möchte.
Aber auch eine „normale“ Person, die ja meist nicht gewohnt ist, sich vor
anderen zu produzieren, bringen Sie in eine heftige Stress-Situation.
Richten Sie sich darauf ein, dass sie alles (Un)mögliche falsch machen könnte!
Schon aus
den Gründen greife ich in einem Dreiviertelstunden-Programm höchstens bei zwei Nummern zu dieser Variante – und
wenn mir die Gäste irgendwie seltsam erscheinen, lasse ich es ganz.
Kein
Wunder, dass in der Literatur öfters Tricks und Gags beschrieben werden, um
Zuschauer überhaupt zum „Mitmachen“ zu bewegen, sie also mit irgendwelchen
Finten nach vorne zu bringen. Mich hat dies immer erstaunt, denn ich habe es
bei den eigenen Auftritten kaum einmal erlebt, dass ein Kandidat sich
verweigerte.
Mein
Tipp: Man muss einen geeigneten Helfer finden – und dieser
kooperiert optimal, wenn er zum Vorführenden Vertrauen hat!
Suchen
Sie nach einer Person, die sich weder in den Vordergrund drängt (z.B. durch „originelle“ Zwischenrufe) noch mit stoischer Miene in der letzten Reihe
sitzt – lieber eine, die lächelt,
wenn Sie es tun, und besorgt blickt, falls Sie (hoffentlich nur scheinbar)
in Schwierigkeiten sind. Ein sicheres Zeichen ist ebenfalls, wenn dieser Mensch
Ihrem Blickkontakt nicht ausweicht!
Auf der
anderen Seite muss Ihr Publikum zur Einschätzung kommen, dass Sie halbwegs „seriös“ sind, einen Mitwirkenden also nicht
mit allzu üblen Gags und Zudringlichkeiten
traktieren werden. Deshalb zaubere ich zu Beginn lieber erst mal selber, bis
„man sich etwas besser kennt“, und gehe erst dann zu einem Duo-Akt über.
Ich
bevorzuge es eher, Zuschauer kurz
einzubeziehen, indem sie mir beispielsweise eine Zahl zurufen oder ein
Requisit kurz halten sollen. Damit dokumentiere ich unausgesprochen, dass an
dem entsprechenden Gegenstand nichts
präpariert sein
kann.
Behalten
Sie Zuschauer, denen Sie irgendwelche Utensilien überreicht haben, aber stets
im Auge! Gerade bei Kindern beginnt gerne ein Gezerre, das den Requisiten nicht guttut! Auch kann es leicht
geschehen, dass die Leute ein solches Teil an andere weitergeben oder gar
verschwinden lassen, gerne garniert mit der hämischen Bemerkung, sie hätten
jetzt „auch mal gezaubert“. Meist wird Ihnen der Gegenstand im Anschluss
an Ihren Auftritt mit den Worten zurückerstattet: „Ich wollte nur mal
sehen, wie Sie darauf reagieren.“
Den
Machtkampf mit solchen „Amateurpsychologen“
können Sie niemals gewinnen, da die restlichen Zuschauer diese Intervention
eher als originell und spannend betrachten werden. Besser, Sie passen auf bzw. haben
für derartige Fälle ein „Out“ (also eine Notlösung) parat, mit der Sie
die Routine halbwegs überzeugend zu Ende bringen können und dabei umso mehr
Respekt beim Publikum einheimsen! Schlimmstenfalls gehen Sie kommentarlos zur nächsten Nummer über (hoffentlich eine
ohne Gästebeteiligung) – dann hat nämlich diese Person dem Rest „den Spaß
verdorben“!
Als
männlicher Zauberer werden Sie besonders leicht das Opfer von „Rivalenkämpfen“,
wenn Sie sich Helfer des gleichen
Geschlechts wählen. Wenn Ihr Effekt bombensicher funktioniert und die
Dramaturgie es erfordert, können Sie dieses Ringen sicherlich einmal bewusst
inszenieren – im Normalfall rate ich Ihnen jedoch, sich weibliche Kandidaten
auszusuchen. Frauen sind viel mehr darauf „programmiert“, „alles
richtig“ zu machen, während es Männer gerne besser, größer und anders mögen.
Auf der Sollseite kaufen Sie sich möglicherweise Unsicherheit und Nervosität
ein, aber das ist besser als das Ausarten der Nummer zu einem Balztanz zweier Gockel, bei dem der
magische Effekt in den Hintergrund rückt.
Ich habe
es schon angesprochen, aber man kann es gar nicht oft genug sagen: Behandeln
Sie Ihre „Assistenten“ freundlich und respektvoll! Gerade die Kombination
Helfer (schüchterne, aber schöne Frau) / Magier (meist weniger schön, dafür
höchst selbstsicher) verleitet etliche Kollegen dazu, nun wirklich kaum einen
platten „Anmachspruch“ auszulassen („Unterschreiben
Sie diese Karte und fügen Sie gleich Ihre Telefonnummer hinzu!“). Sicher
kriegen Sie dafür den einen oder anderen Lacher. Wie die Zuschauer aber
hinterher das Niveau Ihres Auftritts einschätzen, bleibt halt die Frage – eines
dagegen ist sicher: Nach einer solchen „Behandlung“ werden Sie es schwerer haben, weitere Kandidaten zum Mitmachen zu animieren! Wie
bereits erwähnt, nervt es mich als Betrachter gewaltig, wenn ich mich nicht
entspannen kann, sondern einem ständigen „Mitwirkungszwang“
ausgesetzt bin.
Zwei Grundsätze sollten Sie beherzigen:
Ein
mithelfender Zuschauer darf alles falsch machen.
Er muss
mit dem Ende der Routine gut leben können.
Bedenken
Sie, dass Ihr Helfer sich ja üblicherweise nicht danach gedrängt hat, sich den
Blicken aller anderen auszusetzen – er tut Ihnen
einen Gefallen, nicht umgekehrt! Er hat sich wohl vorher nicht mit
Zauberkunst beschäftigt und ist daher völlig ungeübt im Hantieren mit
Gerätschaften, welche Ihnen bestens vertraut sind.
Damit er dennoch nicht allzu viel falsch macht, benötigt er von Ihnen klare
Anweisungen, die Sie auch gestisch untermauern (z.B. eine gewisse
Handhaltung), und er muss Zeit haben, diese zu verarbeiten.
Schaffen
Sie eine lockere, entspannte Atmosphäre
und wiederholen Sie Ihre Wünsche
lieber einmal zu viel, dann wird die Nervosität Ihres Assistenten sich
hoffentlich legen. Sollte ihm dennoch ein Patzer
unterlaufen: Bleiben Sie freundlich und steuern Sie Ihr „Out“ an, welches Sie hoffentlich auch
für diesem Fall parat haben!
Vermeiden
Sie Abläufe, in denen der „unwissende“
Zuschauer als Kontrast zum „alles
könnenden“ Künstler missbraucht wird. Es ist wahrlich nicht lustig, sich
als Besucher einen unerwarteten Stress antun zu müssen und dann noch vor allen
Leuten als „Depp“ dazustehen! Zumindest zum Schluss der Routine muss Ihr
Assistent etwas Richtiges hinbekommen, im Idealfall selber „gezaubert“
haben und damit sogar Sie „verblüffen“! Vergessen Sie nicht, sich bei Ihrem
Helfer zu bedanken und dafür
zu sorgen, dass er sicher auf seinen
Platz zurückkommt. (Beim plötzlichen Nachlassen der Anspannung treten
öfters Orientierungsprobleme auf, und es wäre kein gutes Finale, wenn Ihr Gast
deshalb von der Bühnentreppe fällt!) Auch eine kleine „Belohnung“ fürs Mitwirken kommt gut an!
Aktiver gestrickte Zuschauer können
Ihnen Probleme bereiten, indem sie
allzu kreativ mit Ihren Anweisungen umgehen, beispielsweise ein Kartenspiel
nochmals mischen wollen, Requisiten im falschen Moment untersuchen usw. Bleiben
Sie daher nahe genug am Assistenten, „schweben“ sozusagen mit den Händen
über ihm, um im Fall des Falles sofort eingreifen zu können! Fesseln Sie ihn
mit Ihrem Blick und ziehen Sie
notfalls das Tempo an – er muss sich
dann auf das Gewünschte konzentrieren und kann
nebenbei keinen Unfug treiben. (Leider sieht man immer wieder, dass Helfer
minutenlang unbeschäftigt herumstehen, weil sich der Vorführende gerade
anderweitig betätigt. Dies ist nicht nur unhöflich, sondern vor allem ziemlich
riskant!)
Der „Worst Case“ besteht sicherlich darin,
dass ein solcher Zuschauer versucht, Ihnen die Inszenierung aus der Hand zu
nehmen, indem er dumme Bemerkungen loslässt, Vorgaben verändert („Darf
ich mir noch eine zweite Karte auswählen?“), Requisiten untersucht
oder Ihnen gar in die Tasche greifen will. Solche Szenen werden Ihnen seltener begegnen,
wenn Sie vorher schon bestimmt genug
aufgetreten sind – und vor allem rechtzeitig „den Braten gerochen“ und
einen solchen Gast nicht um Mitwirkung gebeten haben. Ganz ausschließen kann man
derartige Probleme aber nicht. Im Fall des Falles können Sie natürlich versuchen,
dem Helfer durch ironisch gefärbte Bemerkungen zu signalisieren, dass Sie nicht
gewillt sind, ihm die Regie der weiteren Vorstellung zu überlassen. Auch ich
habe schon auf Sprüche zurückgegriffen wie
·
„Wenn Sie etwas schneller machen, könnten wir
in der Vorführung fortfahren.“
·
„Lassen Sie sich ruhig Zeit, wir müssen
sowieso das Programm etwas strecken.“
·
„Wollten Sie gerade origineller sein als
ich?“
·
„Möchten Sie meine Show sonst noch irgendwie
ruinieren?“
·
„Meine Lieblingszuschauer sind die Erklärer,
Grabscher und Testaufbaubestimmer.“
·
„Wissen Sie, was meinen Job so schwierig
macht? Dass ich immer diese komischen Wünsche erfüllen soll.“
·
„So viel zu Ihren Ansprüchen…“
·
„Das war jetzt der falsche Text. In meinem
Drehbuch steht: ‚Aber gerne, Herr Riedl’“.
·
„Natürlich kann ich nicht wirklich zaubern –
aber bedenken Sie, was Sie in Ihrem Beruf alles machen, was Sie auch nicht
können.“
·
„Das war das letzte Mal, dass du eine
Freikarte bekommen hast, Vati.“
Fettdruck
Solche „Killer-Phrasen“
können helfen, besonders,
falls man sie bereits als Vorwarnung
und nicht erst einsetzt, wenn einem die Vorstellung schon entgleitet – und vor
allem keinen scharfen Tonfall anschlägt.
Dann wirken sie nämlich noch relativ witzig, haben jedoch trotzdem Signalcharakter. Möglicherweise führen
sie aber zu einem Zerwürfnis mit dem Publikum. Keinesfalls dürfen Sie sich auf
Debatten einlassen und solche Sprüche inflationieren.
Haben Sie sich erst einmal die Mehrzahl der Zuschauer zum Feind gemacht, können Sie einpacken!
Man braucht viel Erfahrung und Gespür, um in der Hektik zu beurteilen, ob eine
solche „Anmache“ nützt oder es
besser ist, darauf zu verzichten, Nummern mit Zuschauerbeteiligung zu streichen
und zügig das Ende des Auftritts anzustreben.
Es kann
in solchen Momenten alles passieren
– auch positive Dinge, die man sich
nie erträumt hätte. Man begegnet oft genug äußerst charmant oder witzig
agierenden, kooperativen Menschen, bei denen es einem leidtut, die Nummer
irgendwann beenden zu müssen. Und das Publikum erlebt Sie als einen Künstler,
der mit spontanen und überraschenden Entwicklungen (hoffentlich) souverän
umgeht. Ich habe in solchen Momenten viel über Bühnenpräsenz und Zuschauerkontakt
gelernt.
Aber
bitte: Nutzen Sie solche Mitwirkungen sparsam
und gut platziert – auch nach dem
Ende der Corona-Kontaktbeschränkungen!
Dazu noch
ein Beispiel von einem meiner Lieblings-Kollegen, Martin von Barabü. Bewundernswert, wie zurückhaltend, gezielt und
charmant er seinen kleinen Assistenten einsetzt:
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