Mittwoch, 8. April 2020

Hauptsache unerklärlich?


„Ich weiß, wie das geht!“
„Gut, merken Sie sich das.“
(Standard-Dialog bei meinen Auftritten)

Nach meinen Erfahrungen ist die magische Branche unglaublich fixiert auf den „Trick“ selbst. Möglichst spektakulär sollte er sein, vor allem aber dürfen die Zuschauer nicht herausbekommen, wie er funktioniert. Die panische Angst vor der Entdeckung des Geheimnisses (für die meisten der größte anzunehmende Unfall) führt dazu, weitgehend am technischen Hintergrund zu kleben.

Das überschattet oft die ganze Performance: Körpersprache, Ausstrahlung und Texte leiden darunter, der Gesamteindruck ist nervös bis krampfig. Entertainment? 
I wo! Hauptsache, keiner kapiert, wie es geht.

Als Triumph gilt, sogar Zauberkollegen täuschen zu können – ein Vorzug, mit dem viele Effekte in Büchern und noch mehr bei Zauberhändlern angepriesen werden.
Schon daher muss das Kunststück „neu“ sein, denn die „alten Sachen“ sind ja in der Szene, vielleicht sogar bei Laien, längst bekannt. So beschäftigen sich viele Zauberkollegen ein Leben lang damit, den „ultimativen“ Trick zu finden, mit dem sie sogar die Kollegen hinters Licht führen können. Ob die Sache für Laien irgendeinen Unterhaltungswert besitzt, wird kaum bedacht. In den Sitzungen des magischen Ortszirkels betreibt man so weitgehend Inzucht.

Ich habe früher öfters und meist vergeblich den Dialog mit anderen Zauberern über die Inszenierung eines bekannten Effekts gesucht. Fast immer gingen meine Ideen ins Leere – kein Thema, man weiß ja, wie die Sache funktioniert. An dieser Panzerung kann man nur zerschellen…  

Mir persönlich ist es jedenfalls völlig egal, ob andere Magier meine Kunststücke durchschauen oder nicht. Ihre spezielle Sichtweise sagt mir nichts über die Perspektive des normalen Zuschauers. Und selber verpflichten die mich sowieso nicht zu einem Auftritt – sie können es ja auch. Wenn sie dann hinter meinem Rücken erzählen, ich führe nur „olle Kamellen“ vor, nehme ich das inzwischen mit einem Lächeln hin. Was für mich zählt, ist einzig und allein die Wirkung auf ein Laienpublikum!
   
Wenn ich mir den Auftritt eines Kollegen ansehe, gibt es für mich ein entscheidendes Qualitätskriterium: Die Show ist dann gut, wenn ich mir keine Gedanken darüber mache, wie die einzelnen Effekte zu erklären sind, der Vorführende mich also mit seiner Persönlichkeit, Inszenierung und dem Entertainment von solchen Gedanken fernhält. Sobald ich Zeit und Lust habe, über den Modus Operandi zu grübeln, läuft etwas falsch.

Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter: Natürlich gehört es zur professionellen
Einstellung, eine Trickfolge gewissenhaft einzuüben, alle möglichen Strategien der Täuschung zu bedenken und einzusetzen – und auch auf ein Kunststück zu verzichten, weil man es nicht in den Griff bekommt. Es wäre eine Zumutung für das Publikum, dessen Intelligenz durch dilettantisches Gefummel zu beleidigen.

Andererseits sind etliche Menschen schlau genug, mittels einiger logischer
Überlegungen zumindest das Trickprinzip zu vermuten – spätestens nach einer Internet-Recherche. Die Frage ist, ob sie das wollen. Hiergegen kann ich einiges tun, es im Extremfall aber nicht verhindern. Es gibt halt total kopfgesteuerte Menschen, deren seelische Basis gefährdet wäre, wenn sie Zauberei hinnähmen. Die geben erst Ruhe, wenn sie eine Erklärung gefunden haben – ob die nun stimmt oder nicht. Daher akzeptiere ich diese Möglichkeit, bleibe locker und beschäftige mich lieber mit einer interessanten Präsentation! Der durchschnittliche Zuschauer lässt sich darauf ein, anstatt über das Wie zu grübeln.

Entscheidend ist nicht, ob Ihre Kunststücke unerklärlich sind, so
lange sie unterhaltsam wirken!

So gesehen sind wir in unserer heutigen, technokratischen Welt von „Rätseln“ umzingelt: Wer von uns vermag hinreichend zu erklären, wie ein Handy oder ein Computer funktionieren, wie auf einem Bildschirm Schriftzeichen, Muster und Farben entstehen? (Soweit wir männlichen Geschlechts sind, beginnt das vielleicht schon bei der Bedienung einer Geschirrspül- oder Waschmaschine…)

Eines dagegen wissen wir ganz sicher: Zauberei ist das nicht. Und es wirkt oft kein bisschen unterhaltsam. Mittels Gebrauchsanweisung kommt man mit diesen Geräten zurecht, und nach einer entsprechenden Ausbildung erschließt sich auch deren Arbeitsweise.

„Wieso zersägt man Frauen? Das sollten die Vorführenden einmal mit ihrem Therapeuten besprechen…“
(aus einem Text meines Zauberprogramms)

Gerade bei Großillusionen erlebt man oft genug die nackte Vorführung eines Zauberapparats: Auch wenn wir als Laien nicht ahnen, wie es geht, sind wir doch zuversichtlich, dass wir es könnten, wenn wir uns das entsprechende Material und Wissen beschafften (und eventuell eine genügend schlanke und wendige Assistentin hätten). In diese Rubrik fällt leider ein beträchtlicher Teil dessen, was uns auf Zauberbühnen vorgesetzt wird: Wenig Entertainment, dafür viele unerklärliche
Rätsel.

Noch dazu ahnen wir in obigem Beispiel doch von vornherein, dass die junge Dame, welche soeben durch eine Säge zerteilt bzw. mit Metallschiebern oder Schwertern traktiert wurde, hinterher wieder wohlbehalten und in einem Stück auftauchen dürfte. Die Überraschung ist begrenzt.

Ein einziges Mal habe ich eine Zersägeillusion erlebt, die mich überzeugte:
Ein elegant gekleidetes Paar kommt von einem Ball nach Hause und trinkt noch ein Glas Sekt. Da schlägt die Uhr Mitternacht, und der Ehemann verwandelt sich in einem Werwolf, holt die Kettensäge und zerlegt einen Sarg, in dem die Gattin inzwischen liegt. Nach dramatischen Aktionen schlägt die Uhr eins, die Geisterstunde ist vorbei, und beide sind normal und vergnügt wie zuvor. Wie gesagt, einmal in meinem langen Zauberleben beeindruckte mich ein derartiger Effekt, denn er war Bestandteil einer logischen und vor allem unterhaltsamen sowie emotionalen Geschichte!

Nun kann man einwenden, solche Nummern würden ja immerhin die Lust am Spektakulären und Sensationellen befriedigen. Bereits im ältesten Dokument über Zauberei, dem Papyrus Westcar (verfasst vor ca. 4000 Jahren), wird berichtet, dass der Magier Dedi eine (wirkliche) Gans enthauptete und wieder lebendig machte, und die Gaukler des Mittelalters lockten ihr Publikum ebenfalls mit solch drastischen Darbietungen.

Doch was ist das gegen die Metzeleien, welche heute dank Stunts sowie Computeranimation in den Unterhaltungsmedien aufgeführt werden können? Muss da unsere Kunst nicht auf den hinteren Rängen landen?

Jenseits der großen Showbühnen greift man eher zu weniger gefährlichen
Tricks. Da werden halt dann Seile zerschnitten und restauriert. Oder ein Zuschauer darf eine Karte ziehen, welche wieder ins Spiel gemischt wird, und anschließend noch eine Zahl „frei“ bestimmen (d.h. nach gewissen Rechenoperationen inklusive Bildung von Quersummen). Und siehe da, an dieser soundsovielten Stelle im Päckchen liegt die gewählte Karte! Oder es erscheinen bzw. verschwinden Knoten in Seidentüchern.

Alles unerklärliche Rätsel – nur: Will man das wirklich sehen? Ergreift es uns emotional?

 „Zauberer“ ist ein Archetyp, verbunden mit Erwartungen und Sehnsüchten, die sich nicht direkt auf das Herz As als dreizehnte Karte im Spiel richten, sondern tief an unser Unterbewusstsein rühren. Stellen Sie sich daher vor allem eine Frage: Was würden die Menschen gerne können, wenn es echte Zauberei gäbe? Diese Wünsche sollten Sie (soweit möglich) stellvertretend für sie erfüllen!

Eine (sicherlich unvollständige) Auswahl:

·         Geld herbeizaubern / vermehren
·         Gedanken lesen / geheimste Wünsche kennen
·         die Zukunft vorhersagen
·         Essen / Getränke aus dem Nichts (Alkohol!) herbeischaffen
·         schweben / fliegen können
·         unverletzlich bzw. unbesiegbar sein
·         Zerstörungen rückgängig machen
·         die Zeit zurückdrehen können
·         schöne Dinge herbeizaubern
·         einen Alltagsgegenstand in etwas Attraktives verwandeln
·         Frauen beeindrucken / beschenken (Blumen!)
·         beim Glücksspiel / Kartenspiel gewinnen
·         schlagfertig sein / jede Situation meistern
·         feste Materie durchdringen / sich von Fesselungen befreien
·         unsichtbar werden

Die Magier vergangener Zeiten genossen den Vorteil, dass die Menschen oft noch an echte Zauberei glaubten. (Manchmal wurden sie aber auch als Hexer verbrannt.) Heute haben wir ein Publikum vor uns, dem ziemlich klar ist, dass es real erklärbaren Täuschungsmanövern ausgesetzt ist. (Außer natürlich unsere esoterischen Freunde, aber da müsste man ganz andere Sachen vorführen oder einfach nur behaupten…)

Daher: Lassen Sie das mystische Getue und haben Sie keine Angst davor, irgendein Schlauberger könnte mit der richtigen Erklärung eines Effekts aufwarten! Na und? Konzentrieren Sie sich auf den Rest des Publikums: Das will vor allem entspannen und einen schönen Abend haben.

Und den bieten Sie den Zuschauern – ob nun unerklärlich oder nicht!

Hier noch ein schönes Beispiel dazu: Martin von Barabü – für mich ein moderner Hofzinser – bei der Vorführung einer „ollen Kamelle“:

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Bitte geben Sie im Kommentar Ihren vollen (und wahren) Namen an und beziehen Sie sich ausschließlich auf den Inhalt des jeweiligen Artikels. Unterlassen Sie herabsetzende persönliche Angriffe, gegen wen auch immer. Beiträge, welche diesen Vorgaben nicht entsprechen, werden – ohne Löschungsvermerk – nicht hochgeladen.
Sie können mir Ihre Anmerkungen gerne auch per Mail schicken: mamuta-kg(at)web.de – ich stelle sie dann für Sie ein.