Jetzt doch eine Karte
ziehen?
In
meinem letzten Beitrag habe ich inständig davor gewarnt, beim Zaubern die schrecklichste aller Aufforderungen zu
verwenden: „Ziehen Sie eine Karte!“
Die
Wahrheit ist: Es gibt in der magischen Literatur natürlich zehntausende
Routinen, welche sich damit beschäftigen, eine vom Zuschauer bestimmte Karte zu erraten, wiederzufinden,
verschwinden und an den unmöglichsten Stellen wieder auftauchen zu lassen. Nur
sollte halt die Einkleidung
interessanter sein als der oben erwähnte Satz.
Das
folgende Kunststück habe ich in dieser Kombination noch nie vorgeführt – die einzelnen
Teile in Varianten aber durchaus. Für mein Blog habe ich mir das Ziel einer
Version gesetzt, die ohne komplizierte
Hilfsmittel oder große Geschicklichkeit
auskommt.
Sie
benötigen lediglich ein Kartenspiel,
einen Zeichen- oder Notizblock sowie
einen schwarzen und roten Filzschreiber.
Entscheiden
Sie sich für einen Kartenwert, um den es hier gehen soll: Günstig ist eine rote Zahlenkarte – nehmen wir an,
die Karo 3.
Diese
Karte markieren Sie auf der
Rückseite. In den meisten Zauberanleitungen wird ein Bleistiftpunkt an einer
Ecke empfohlen. Ich finde es besser, nichts hinzuzufügen, sondern etwas wegzunehmen. Schauen Sie sich die
beiden Karten im Foto an: Welche ist die gekennzeichnete? (Wenn Sie es nicht erkennen: zum Vergrößern draufklicken!)
Stimmt:
die linke! Mit einem Tupfer „Tipp Ex“
habe ich das Ornament in der Mitte teilweise
gelöscht. Oder Sie malen eine weiße Stelle blau aus. (Nebenbei: Das amerikanische Poker-Format „Bicycle Riders“ verwendet
die Mehrzahl der Kollegen – eine hervorragende Qualität.)
Diese
Karte machen Sie zur obersten des rückenoben liegenden Spiels.
„Können Zauberer
Gedanken lesen? Damit wir keine allzu intimen Geheimnisse erfahren, begnügen
wir uns zunächst mit diesem unschuldigen Kartenspiel!“
Wenden
Sie sich an eine Dame im Publikum.
(Frauen sind meist die besseren „Helfer“, da sie auf „soziales Miteinander“ konditioniert
sind. Bei einem Mann kann es passieren, dass Ihre Routine durch „Hahnenkämpfe“
ins Trudeln gerät!) Drehen Sie das Spiel bildoben
und fächern es kurz auf.
„Sie sehen: ein gut
gemischtes Spiel. Wollen Sie noch abheben? Nehmen Sie einfach einen Teil der Karten
oben weg und legen sie auf den Tisch. Prima!“
Ausprobieren
und staunen: Die oberste Karte ist immer noch die markierte! Dies ist eine
simple und freche Tour des „Falschabhebens“.
Ob Sie damit durchkommen, hängt entscheidend davon ab, wie zügig und quasi „selbstverständlich“
Sie es durchziehen. So hebt man halt ab, basta! Sprechen Sie sofort weiter:
„Entscheiden wir uns
für eine beliebige Karte! Die wievielte im Spiel soll es denn sein?“
Bei
einem Mann könnten Sie sich nun
Antworten wie „die einundfünfzigste“ einhandeln
– oder: „die zweite“. Ihre „Assistentin“
wird wohl eine Zahl zwischen 5 und 10 nennen. Ansonsten können Sie zu große
oder kleine Vorschläge mit Bemerkungen abtun wie: „Ginge es ein wenig kleiner? So viel Zeit haben wir nicht“ oder „Ein bisschen schwieriger sollten Sie es mir
schon machen!“ Prinzipiell geht es aber mit jeder Zahl. Nehmen wir an, die Dame möchte die neunte Karte:
„Die neunte? Gut:
Eins, zwei, drei, vier… neun, zehn – also bitte: die zehnte Karte!“
Zählen
Sie die Karten in Ihrer Hand vom Spielrücken aus einzeln ab und legen sie aufeinander auf den Tisch, sodass sich ein
Päckchen bildet. Die zehnte Karte
heben Sie hoch:
„Bitte sehr: die
zehnte Karte! Äh, wie bitte? Entschuldigung, Sie wollten ja die neunte – also nochmal!
Eins, zwei drei…“
Legen Sie diese 10.Karte wieder auf das Spiel zurück, dann werfen Sie das Neuner- Päckchen darauf und beginnen erneut abzuzählen.
„Jetzt aber, die
neunte Karte! Merken Sie sich den Wert, zeigen Sie die Karte dem Publikum – nur
mir nicht. Ich kenne den Trick schon…“
Probieren
Sie die Tour und staunen Sie: Die „gewählte“
Karte ist die markierte (hier also
die Karo 3) – bewirkt hat dies das Umzählen. Die Zuschauerin hatte also nur
scheinbar die freie Wahl; wir Zauberer nennen das „Forcieren“.
„Geben Sie die Karte
ins Spiel zurück und mischen sie es gründlich. Vielen Dank! O je, die Karten sind
wirklich gründlich durcheinander… Nein, so geht es nicht.“
Drehen
Sie das Spiel bildoben und fächern es (Rückseiten zum Publikum) kurz
durch, bis Sie die Karo 3 entdecken.
Nehmen Sie (möglichst locker und lässig) alle Karten darunter weg
und legen sie diese nach oben. Die
bewusste Karte landet dadurch wieder, wie zu Beginn, als oberste am Spielrücken. Legen Sie die Karten zu Seite und greifen
zu Zeichenblock und Papier:
„Denken Sie bitte
ganz intensiv an Ihre Karte! Senden Sie mir das Bild! Ich versuche, es zu zeichnen.“
Skizzieren
Sie mit dem schwarzen Stift ein Rechteck im Kartenformat und zeigen sie das
Ergebnis:
„Sah die Karte etwa so aus?“
(Ein
garantierter Lacher!)
„Ja, okay, ich
arbeite ja dran. Sie müssen sich mehr konzentrieren! Was…, ich empfange gerade ‚Dieter‘
– nein, bitte, nicht an Männer denken, sondern an den Kartenwert!“ (Dürfte wieder für
Heiterkeit sorgen!)
Ah ja, jetzt wird es
konkret – Moment…“
Zeichnen
Sie in das Rechteck einen schwarzen Kartenwert
ein, zum Beispiel Kreuz 4.
„Ihre Karte war eine
Zahlenkarte… eine schwarze Karte… es war die… Kreuz 4! Was, wirklich nicht??“
Zeigen Sie die Zeichnung und blicken
Sie, Zustimmung fordernd, die Dame
an. Sie wird zunächst bejahen, dann aber verneinen. Ihre Unsicherheit, Ihren Frust
müssen Sie jetzt überzeugend darstellen! Plötzlich kommt Ihnen eine Idee: Fügen
Sie ein paar Striche ein, damit die Skizze nun ein Päckchen darstellt, dessen oberste Karte die Kreuz 4 ist:
„Meine Dame, wollen Sie die Vorstellung sonst noch irgendwie durcheinanderbringen? Okay, ich war ja noch
nicht fertig – sehen Sie: Das soll nämlich ein ganzes Kartenspiel darstellen, und
darin befindet sich sicher auch Ihre gewählte Karte. Vielen Dank!“
Blicken
Sie mit einer leichten Verbeugung ins Publikum. Man lacht, aber der so
geforderte Applaus dürfte weitgehend ausbleiben. Kommen Sie nun zügig zum Ende
und ergänzen die Skizze um eine Karo 3,
welche halb aus dem Päckchen heraussteht.
„Ich glaube, Sie
haben sich zu schwere Gedanken gemacht. Nehmen Sie es locker und leicht, denken
Sie nochmal an Ihre Karte… und schon steigt sie aus dem Spiel heraus, die Karo 3!“
Drehen
Sie die Zeichnung zur Mitspielerin und dann ins Publikum. Man wird bestätigen,
dass es sich um die gewählte Karte
handelt.
„Und nicht nur in der
Zeichnung stieg die Karte nach oben, sondern auch in der Realität. Meine Dame, bitte
nehmen Sie die oberste Karte vom Spiel, drehen Sie sie um – es ist die Karo 3!
Ende
und Applaus!
Für
den Experten lässt sich die Tour in drei Begriffen beschreiben:
Falschabheben
– Force – Kartensteiger.
Geübte
Zauberer haben für jedes Manöver ihre eigenen, oft viel anspruchsvolleren Methoden. Vielleicht finden sie die
Zusammenstellung dennoch originell.
Die
Routine lebt vor allem von einem geheimen Wunsch, den wir alle haben: Gedanken lesen zu können. Wenn noch
dazu ein Mann versucht, einer Frau hinter die Stirn zu schauen
(was real bekanntlich unmöglich ist), hat das seinen besonderen, leicht
erotischen Reiz.
Die
Comedy ergibt sich aus Ihren
ziemlich dilettantischen Zeichen-Versuchen
und einer Portion Schadenfreude über
das vermeintliche Misslingen.
Warum
die bewusste Karte auf der Rückseite
markiert ist? Ganz einfach: Zur Beruhigung Ihrer Nerven! Sie haben so stets die Kontrolle,
dass die Dame wirklich die forcierte Karte bekommen hat. Vorhersagen sind
nämlich in der Zauberei nur dann etwas wert, wenn sie auch eintreffen. Alles
andere wäre ultimativ uncool…
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