Donnerstag, 26. März 2020

Zaubern – eine Personality Show


Sorry, aber heute kein neuer Kartentrick!
Sondern etwas zum Thema:
Es gibt keine schlechten Kunststücke – nur schlechte Darbietungen.

Ein Manuskript mit dem obigen Titel habe ich lange Zeit in meinen Zauberkursen verwendet. Vielleicht ist es auch für Sie – in neuer Bearbeitung – interessant:

Haben Sie schon einmal eine Zaubervorstellung erlebt? Wie hieß der Künstler? Aha… irgendwas mit „-ini“?
An welche Tricks können Sie sich erinnern? Soso, mit Karten… und einem Seil… kleine Bällchen waren auch dabei?
Was war das für ein Typ? Erinnern Sie sich an Eigenschaften wie freundlich, witzig, ernst, geheimnisvoll, dramatisch, locker, bescheiden, großspurig, dämonisch, albern, verrückt, geschwätzig, belehrend, langweilig, unsympathisch?
Hat Ihnen der Auftritt gefallen?

Ich habe diese Fragen in jedem Zauberkurs gestellt. Fast nie konnten sich die Teilnehmer an den Namen des Magiers erinnern, und auch die Antworten zu den gezeigten Effekten fielen in der Regel so vage aus wie beschrieben. Ziemlich konkret wurden die Teilnehmer allerdings bei der Beschreibung der Persönlichkeit des Künstlers. Meist war diese sehr gut haften geblieben, und daraus resultierte die Bewertung des Auftritts. Positiv wirkte eher eine freundliche, lockere Präsentation mit Witz und Schlagfertigkeit.

Wenn man das bedenkt, arbeiten wir Zauberer oft an den falschen Baustellen: Ewig üben wir schwierige Kunstgriffe, basteln am genauen Ablauf einer Routine herum, ändern ständig die Programmfolge. Und dann führen wir die ganze Pracht in einem persönlichen Stil vor, welcher das Publikum nicht überzeugt.

Vielleicht sollten sie sich über folgende Punkte einmal Gedanken machen:

Das Publikum hat immer recht!

Wie unser Altmeister Robert-Houdin es einmal ausdrückte:
„Ein Zauberkünstler ist ein Schauspieler, der einen Zauberer darstellt.“
Sie spielen also eine Rolle, und die müssen Ihnen die Zuschauer abnehmen! Da Sie wahrscheinlich kein professionell ausgebildeter Mime sind, sollten Sie diese möglichst nahe an Ihrer wirklichen Persönlichkeit ansiedeln.
Leider erlebt man oft das Gegenteil: Der Vorführende spielt jemanden, der er gerne wäre – aber halt nicht ist.
Da plaudern Sechzehnjährige kennerisch über Eheprobleme, ziemlich sachliche Menschen üben sich – schreiend bunt gekleidet – in Eiapopeia-Kindersprüchen, ältere Kollegen mimen mit zerrissener Jeans den Berufsjugendlichen, und ein geborener Scherzbold muss unbedingt poetische Texte aufsagen.
Daher: Wie Sie sich selber sehen oder gern wären, ist völlig uninteressant. Mit der Zeit sollten Sie an den Publikumsreaktionen merken, was die Zuschauer gerne in Ihnen erblickten!

„Be natural“ (Dai Vernon)

Verräterisch ist oft nicht ein mäßig ausgeführter Kunstgriff, sondern das Herausfallen der Aktion aus Ihrem normalen Bewegungsmuster. Jeder Mensch hat ein anderes. Daher sind irgendwelche Griffbeschreibungen in der Literatur nicht zwingend. Passen Sie diese Ihrer eigene Art an.
Natürlich stehen wir bei einem Auftritt unter Hochspannung, insbesondere bei den „dirty moves“ Lockerheit zu bewahren ist die größte Herausforderung beim Üben – und nicht, den x-ten Kunstgriff zu trainieren. Reduzieren Sie Ihren Kraftaufwand, behandeln Sie die Requisiten sanft und mit spitzen Fingern.
Das Publikum spiegelt stets Ihre Aktionen: Anspannung in der Körpersprache überträgt sich ebenso wie Lässigkeit – und bei Letzterer haben Sie bessere Chancen, mit Ihren geheimen Handlungen durchzukommen.

„People pay für background“ (Harlan Tarbell)

Keinesfalls sind Sie bei einem Auftritt „der Herr Maier von nebenan” (selbst wenn das zuträfe). Sie können etwas, das nur wenige beherrschen: zaubern. Sie sind etwas Besonderes, daher verhalten Sie sich auch entsprechend! Das gilt nicht nur während der Vorstellung, sondern auch davor und danach: Man beobachtet Sie, möchte herauskriegen, „wer Sie sind“.
Aus der Sicht Ihres Publikums glänzen die „besseren Leute“ durch ein hervorragendes Benehmen und hohe Bildung. Streichen Sie daher geschmacklose Witze aus Ihren Texten, bieten Sie ein hohes Sprachniveau. Es ist ein schlimmer Fehler, das Publikum zu unterfordern. Sie werden für Niveau bezahlt!

Ob Sie wollen oder nicht: Sie sind das Alpha-Tier!

Dies gilt für
·         Ihr Outfit (immer etwas besser oder zumindest ungewöhnlicher als das Publikum)
·         Ihre Requisiten (keine abgenutzten Karten oder fleckigen Seidentücher)
·         Ihre Aufbauten und Behältnisse (Ich habe da schon Pappkartons und Einkaufstüten erlebt…)
·         vor allem für Ihr Verhalten:

Vergessen Sie Relativierungen und Abschwächungen:

„Hallo, ich bin der Sven. Ich bin gar kein richtiger Zauberer, die gibt es sowieso nicht, aber in meiner Freizeit habe ich ein paar Tricks geübt…“

Nach diesem Intro sollten Sie aufhören, denn dieses Spiel ist nicht mehr zu gewinnen!

„Liebe Gäste, mein Name ist Sven, ich bin Ihr Hauszauberer für heute Abend. Ich freue mich, zusammen mit Ihnen etwas Spaß zu haben. Gibt es überhaupt echte Zauberei? Machen wir dazu ein Experiment…“

Sie sind der Boss – lassen Sie sich die Inszenierung nicht aus der Hand nehmen – auch nicht durch irgendwelche Zwischenrufer! Notfalls bringen Sie einen lockeren Spruch, der zwischen den Zeilen durchaus eine ernste Botschaft vermittelt, zum Beispiel:
„Meine drei Sorten von Lieblingszuschauern sind die Erklärer, Grabscher und Testaufbaubestimmer…“

Freilich gibt es das andere Extrem. Solche Begrüßungen habe ich auch schon erlebt:

„Mein Name ist … Ich arbeite nun seit 35 Jahren als internationaler Profi-Zauberkünstler mit Engagements in…“ (An der Stelle wollte ich raus...)

Es ist alles Theater!

Wie spontan und improvisiert Ihre Darbietung auch wirken mag: Sie muss bis ins Detail wohlüberlegt inszeniert sein! Schauen Sie sich den Auftrittsplatz vorher an: Wie steht es um Sichtbarkeit und Beleuchtung, müssen Sie auf gefährliche Blickwinkel achten, sind Störungen zu befürchten? Werden die Texte gut verständlich sein oder benötigt man eine Verstärkeranlage? Sind alle Requisiten griffgünstig platziert? Wohin mit ihnen nach dem Kunststück?
Der Teufel steckt im Detail! Die Hauptursache für eine misslungene Vorstellung ist der Satz: „Wird schon gutgehen!“
Schauen Sie sich die nächste Fernsehshow einmal mit der Frage an: Was musste alles geprobt und vorbereitet sein, damit sie so ablaufen kann?

„Verwirrung ist keine Zauberei“ (Dai Vernon)

Seien Sie klar und nicht zu hastig in Ihren Aktionen und Texten! Wenn etwas verschwinden soll, muss man es vorher deutlich gezeigt haben. Verstärken Sie Ihre verbalen Beschreibungen gestisch. Machen Sie Pausen, damit sich das Gesagte setzt! Etablieren Sie nicht zu viele „Nebenkriegsschauplätze“, kommen Sie in gerader Linie zum Schluss.

Die Kunst besteht im Weglassen

Viele von uns haben den Ehrgeiz, auch noch die schwierigsten Routinen vorzuführen und uns so mit berühmten Kollegen zu messen. Nun gut, wenn Sie acht Stunden täglich dafür Zeit haben…
So lange Sie aber noch mit der Technik kämpfen, bleibt Ihnen wenig Raum, sich um die Interpretation zu kümmern. Wenn Sie ein Programm gegen Bezahlung darbieten, müssen Sie es handwerklich auch noch nachts um drei und rückwärts beherrschen.
Daher meine herzliche Bitte: Lassen Sie das tolle Kunststück weg, das Ihnen für die halbe Vorstellung die Nerven raubt und Ihre Ausstrahlung unentspannt wirken lässt!

Wollen Sie Tricks oder Zauberei darbieten?

Nicht die Requisiten zaubern, sondern Sie! Oder möchten Sie, dass man zum Schluss Ihre Trickgeräte beklatscht? Der amerikanische Magier Leo Behnke schreibt dazu:

Tricks sind Rätsel (z.B. Kästchen mit doppeltem Boden); jeder kann sie vorführen, wenn er das Geheimnis kennt.
Zauberei beschäftigt sich mit normalen Gegenständen; sie ist unerklärlich und kann nur von glaubwürdigen, überzeugenden Persönlichkeiten vorgeführt werden.“

Zum Schluss noch ein Beispiel, wie man seine passende Rolle findet:

Der von mir hoch verehrte Bert Rex schlägt das maximale Kapital aus seiner kleinen und schmächtigen Statur und spielt den Underdog, der ein „großer Zauberer“ sein will, mit subtilem Witz und umwerfender Komik. Das Publikum liebt ihn – mit vollem Recht!

 
P.S. Natürlich gelten diese Grundsätze nicht nur für Zauberer, sondern für alle, die sich vor Publikum produzieren müssen – ob als Lehrer, Seminarleiter oder Politiker.
Vielleicht interessiert sie daher auch ein Text, den ich schon vor Jahren verfasst habe:
 

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