Samstag, 15. Mai 2021

Meine Tipps für angehende Kollegen

 

Gerade habe ich mich über ein YouTube-Video geärgert: „52 Tipps für Zauberer und alle die es werden wollen“ heißt ein Buch, das darin zwei jüngere Herren besprechen. 

 

Angesichts des Geredes, das mir dabei präsentiert wurde, kam ich auf die Idee: Wie viele Ratschläge würde ich für angehende Kollegen formulieren, und vor allem – welche?

 

Um es gleich klarzustellen: Einen „allgemeingültigen“ Ansatz gibt es nicht. Dazu sind die Personen, Zeiten und Umgebungen viel zu verschieden. Deshalb kann ich nur meine subjektive Sichtweise darstellen.

 

Zu meiner Person: Ich zaubere außerhalb des Familien- und Freundeskreises seit zirka 35 Jahren. Meine knapp 1100 Auftritte fanden weitgehend bei privaten Veranstaltungen, in Schulen, Kitas und im Seniorenbereich statt. In den letzten Jahren habe ich auch zahlreiche Musikdarbietungen magisch moderiert. 


Das Zaubern habe ich mir weitestgehend selber beigebracht – durch Bücher und natürlich die Trickbeschreibungen von Zauberhändlern. Das meiste habe ich aber durch die Reaktionen meines Publikums gelernt. In der „magischen Szene“ war ich so gut wie nicht unterwegs. Bei meinen Kontaktversuchen hatte ich immer wieder den Eindruck, mein Umfeld interessiere sich für Dinge, die mir eher egal waren – und umgekehrt. Wirkliche Einkünfte  habe ich mit der Zauberei nie erzielt – bestenfalls reichte es für ein „kostenloses Hobby“.

 

Sollten Sie nun noch weiterlesen wollen – ich halte die folgenden Punkte für überlegenswert: 


1.    Vergessen Sie das Geschwätz von den „Profis“!

Anfänger werden gerne damit geködert, man könne mit der Zauberei Geld verdienen, vielleicht sogar seinen Lebensunterhalt. Das war bereits vor Corona eine Chimäre! Spätestens seit dem Verschwinden der Cabarets und Varietés in den 1960er-Jahren können die wenigsten von der Magie leben. Was leider nicht endet, ist das Renommiergehabe mit den so genannten „Profis“, deren Tipps und Argumente natürlich viel schwerer wiegen als die von „Amateurzauberern“.

Mein Rat ist daher: Wenn Sie zaubern wollen, lernen Sie parallel dazu einen ordentlichen Beruf! Sollten Sie wider Erwarten sensationell gut sein sowie viel Glück haben und so zu den 0,01 Prozent der Zauberkünstler gehören, die davon gut oder sogar luxuriös leben können: prima. Wenn nicht, sparen Sie sich viel Frust und Seelenqual.

Ignorieren Sie ebenfalls das Gesülze in der Szene, man dürfe unter einem gewissen Honorar nicht auftreten, weil man sonst die „Preise kaputt mache“. Und schließlich habe man ja viele Jahre geübt. Na ja, eine Krankenschwester kriegt nach dreijähriger Ausbildung vielleicht 14 Euro die Stunde, ein Handwerker bekommt in dieser Zeit zirka 40 bis 80 Euro. Wo steht denn geschrieben, dass man mit einer Dreiviertelstunde Zauberei unbedingt einen höheren dreistelligen Betrag erzielen kann? Noch dazu: Pflegekräfte und Handwerker brauchen die Kunden unbedingt, einen Magier nicht.

 

2.    Hören Sie nie auf das Urteil von Zauberkollegen!

Jedenfalls dann, wenn Sie vor Laien auftreten wollen. Deren Sichtweise ist eine völlig andere als die von Insidern, welche halt meistens wissen oder ahnen, wie Sie es machen. Diese Perspektive verändert alles! Wenn Sie vor einem normalen Publikum mit einer simplen Technik durchkommen, werden Ihnen die lieben Kollegen vorhalten, es gebe raffiniertere Methoden, mit denen Sie sich dann monatelang vergeblich abmühen, ohne dass dies ihre Präsentation irgendwie verbessert, wahrscheinlich sogar verkrampfter erscheinen lässt.

 

In der Szene ist man gierig auf „Neues“. Klassiker bewirken nur ein müdes Gähnen. Laien reagieren eher umgekehrt

 

Zudem ist der Futterneid in der Branche riesig. Auch diesen Aspekt sollten Sie bedenken, bevor Sie „Fachleute“ um ihre Meinung bitten.

 

Daher: Wenn Ihnen ein Händler ein Kunststück anbietet, „mit dem Sie sogar Zauberkollegen täuschen können“ – kaufen Sie es nicht!

 

3.    Der Effekt entscheidet, nicht die Methode!

Wählen Sie stets den einfachsten Weg, ein „Wunder“ für Ihre Zuschauer zu vollbringen. Sicherlich sollte es für Laien nicht durchschaubar sein, was Sie machen. Das hängt aber auch von der schauspielerischen Gestaltung, der Präsentation ab! Wenn die Technik nicht Ihre ganze Aufmerksamkeit erfordert, haben Sie eine Chance, sich auf diese Aspekte zu konzentrieren. Das ist viel nützlicher als ein kompliziertes Handling, nur damit auch Ihre Kollegen nicht wissen, wie es geht.

 

Und vermeiden Sie die szenetypische Panik, man könnte herauskriegen, wie Sie es machen! Das Internet ist voll von Trickerklärungen. Wer es unbedingt wissen will, kriegt es heraus. Sorgen Sie durch Ihre Präsentation dafür, dass möglichst viele es gar nicht wissen wollen!

  

4.    Lassen Sie Sachen, die Sie nicht können!

Ich habe öfters Zauberkünstler erlebt, die an ihren Kindheitsträumen scheitern: Da muss es unbedingt der elegante Manipulator im Frack sein, der Großillusionist, der mit seiner Partnerin über die Bühne tänzelt, oder der wahnsinnig witzige Comedian. In Wahrheit sieht man aber eher klobig-verkrampfte Aktionen, Pseudo-Las Vegas-Gehampel oder nervige Berufsjugendliche. Gerne auch Leute, die sich mit zusammengebissenen Zähnen durch eine viel zu schwierige Routine quälen.

 

Szenetypisch wird dann das Mantra verbreitet, man müsse halt üben bis zum Umfallen. Meine Erfahrung ist eine andere: Sachen, die mir lagen, habe ich mir stets in relativ kurzer Zeit draufgeschafft – anderes aber nach Monaten aufgegeben, weil ich es eben nie wirklich locker und leicht hinbekam. Genau das aber überzeugt Ihre Zuschauer: Wenn Wunder lässig und unangestrengt geschehen.

 

Beherzigen Sie daher den Wahlspruch: Was gestrichen ist, kann nicht durchfallen! 

 

5.    Entscheidend ist, wer Sie sind und nicht, was Sie vorführen!

In der magischen Szene wird ständig debattiert, welche Kunststücke man wie zeigen solle. Dabei vergisst man: Die Zuschauer wissen schon Stunden später nicht mehr genau, was alles im Programm war. Was sich viel länger und deutlicher einprägt, ist die Persönlichkeit des Künstlers. Findet man ihn attraktiv, interessant und sympathisch, kann er in einem weiten Bereich treiben, was er will. Ist man von ihm irritiert oder gelangweilt, findet ihn gar abtörnend, verfangen die besten Routinen kaum.

 

Ich rate daher jedem, der sich öffentlich präsentiert, über die Rolle nachzudenken, die ihm das Publikum zuweist. Es nützt beispielsweise gar nichts, sich für ernst und seriös zu halten, wenn die Zuseher aus dem Lachen nicht herauskommen – oder für eher schüchtern, man einen überlegenen und souveränen Eindruck macht.

 

Nehmen Sie die Rolle an, welche die Zuschauer für Sie auswählen, denn:

 

6.    Das Publikum hat immer Recht!

Es bringt überhaupt nichts, einen misslungenen Auftritt damit zu erklären, die Zuschauer seien zu blöd gewesen, die Effekte oder Ihre Witze zu kapieren, hätten kein Interesse gezeigt, seien abgelenkt oder gar betrunken gewesen. Möglicherweise trifft das alles sogar zu – nur: Es ist Ihre freie Entscheidung, aufzutreten oder es zu lassen! Oft hätte man schon im Vorfeld ahnen können, dass es nicht gutgehen würde. Ich habe Vorstellungen in einigen Fällen auch noch im letzten Moment abgesagt. Daher:

 

7.    Man kann nicht immer und überall zaubern

Aus eigener Erfahrung weiß ich: Es fällt sehr schwer, ein Zauberangebot abzulehnen, da man von seiner Leidenschaft für dieses Metier getrieben wird. Auf vielen Webseiten von Kollegen kann man lesen, ihre Künste seien praktisch überall und unter allen Umständen vorführbar. Das ist reine PR.

 

Was würde Günther Jauch zum Angebot sagen, seine Quizshow auch mal auf einem Dorffest zwischen Würstlgrill und Hüpfburg zu moderieren? Oder Rudi Cerne zu der Möglichkeit, sein „Aktenzeichen XY“ von der Liegewiese eines Freibads aus zu senden? Zauberer würden auf solche Angebote eingehen – und auf noch Schlimmeres.

 

Glauben Sie mir: Der „Schutz der Inszenierung“ ist für uns Magier noch wichtiger als für Moderatoren wie Jauch und Cerne. Mindestabstand, Blickwinkel, Sicht- und Hörbarkeit und vieles andere müssen bedacht werden. Und natürlich auch, welche Art von Zuschauern zu erwarten ist.

 

Ich habe in meiner Zauberlaufbahn vielleicht zwei Dutzend Angebote ausgeschlagen, also nur wenige Prozent. Heute weiß ich: Es wäre besser gewesen, mindestens jede zehnte Vorstellung abzulehnen. Ich hätte mir viel Ärger und Frust erspart!

 

8.    „Be natural“

Dieser Rat des großen Dai Vernon ist mit Geld nicht zu bezahlen. Bei wem würden magische Effekte mehr erstaunen: Wenn sie ein skurriler Typ zeigt, der im Glitzerkostüm durch eine Fantasie-Deko geistert oder – um nochmal Jauch und Cerne zu bemühen – bei einer seriösen, gepflegten und bürgerlichen Erscheinung?

 

Dies gilt auch für das Handling: Wenn Sie mit Fingerfertigkeit prunken, sind Wunder weniger verblüffend als wenn Sie Requisiten einfach und natürlich handhaben.

 

Klar: Auch Exzentriker finden ihr spezielles Publikum. Wenn Sie jedoch den Mainstream bedienen, wächst die Zahl Ihrer potenziellen Kunden.

 

9.    „Keep it simple“

Ich amüsiere mich immer wieder darüber, dass der moderne Mentalmagier es nicht unter mindestens drei Publikums-Kandidaten tut, die er neben sich auf die Bühne stellt und sie mit Gags eindeckt, während die armen Leute sich mehrere Kartenwerte, Geburtstage oder Lieblingsgetränke merken müssen. Ich frage mich dabei stets: Kann der auch mal alleine zaubern oder braucht er ununterbrochen Hilfe aus dem Publikum?

 

Persönlich ziehe ich es als Zuschauer vor, mich entspannt zurückzulehnen und die Show zu genießen als ständig mit Aufgaben belästigt zu werden oder mich angestrengt konzentrieren zu müssen, damit ich bei einer komplizierten Routine den Faden nicht verliere.

 

Daher rate ich dazu, die gezeigten Nummern einfach zu halten: Exposition, Durchführung, Schluss – und das so kurz und transparent wie möglich. Gut wäre es auch, bei längeren Routinen „Sollbruchstellen“ einzubauen, um Extratouren zumindest wegzulassen, wenn das Publikum geistig abbaut.

 

Ein gutes Hilfsmittel ist die Optik – der Sinn, mit dem wir die meisten Informationen aufnehmen. Leider bestehen gerade Mentalnummern oft aus endlosem Gequatsche, das man besser als Rundfunkbeitrag verwenden könnte.

 

Auch wenn Blumen, Seidentücher und ähnlicher Blickfang heute als antiquiert gilt: Die Freude, schöne Dinge zu betrachten, wird nie unmodern werden!

 

10. Nachbereitung ist ebenso wichtig wie Vorbereitung!

Wie eingangs bemerkt, habe ich das meiste in der Zauberei an den Publikumsreaktionen gelernt. Glücklicherweise hat mich auf den Fahrten zu den Auftritten fast immer meine Frau und Assistentin begleitet. Auf dem (oft langen) Rückweg haben wir stets das Programm und seinen Erfolg besprochen. Ein zweites Paar Augen ist dabei unersetzlich!

 

Es hat sich sehr bewährt, auf diese Weise ein Feedback zu erhalten und so die Präsentation immer wieder zu verbessern. Eine Erfolgsgarantie ist das aber nicht – immer wieder erlebten wir, dass Nummern an einem Abend toll ankamen und beim folgenden Auftritt eher zäh liefen. Es bleibt also stets spannend!

 

Liebe Leserinnen und Leser,

 

dies gilt natürlich auch für meine Ratschläge: Es bleibt Ihnen nicht erspart, Ihre eigenen Erfahrungen zu machen, die eventuell ganz anders ausfallen.

 

Daher möchte ich auch nichts mehr zu dem anfangs schon erwähnten Video schreiben. Sehen und urteilen Sie selbst – und überlegen Sie, ob diese Performance Sie animieren würde, eine Vorstellung der beiden zu besuchen:

 

https://www.youtube.com/watch?v=3mP49js_ngc

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